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Junge Frau geht für Lohngleichheit bis vors Gericht
Aus Kassensturz vom 23.01.2024.
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Lohndiskriminierung Kommunikationsleiterin wehrt sich gegen Ungleichheit

Als die Kommunikationsleiterin Janina Stucki erfährt, dass ihr männlicher Kollege 20 Prozent mehr verdient, klagt sie vor Gericht.

«Was für ein tolles Unternehmen, in dem Lohntransparenz so wichtig ist», dachte Kommunikationsleiterin Janina Stucki als ihr zukünftiger Chef beim Vorstellungsgespräch sagte, es gebe keine Lohnverhandlungen, sondern eine Tabelle, nach der alle Angestellten eingestuft werden.

Für sie hiess das: 100'000 Franken für ein Arbeitspensum von 100 Prozent. Sie freute sich auf das Startup-Unternehmen, einer Tochterfirma der Berner Kraftwerke BKW: kleines Team, kurze Wege, viel Spielraum zum Ausprobieren.

Gleichaltriger Kollege verdiente mehr

Eineinhalb Jahre später kam ein männlicher Kollege mit ähnlichem Profil und Aufgaben ins Team. Die Stimmung war gut. Im Herbst lud Stucki ihre Arbeitskollegen zum Nachtessen in ihrer Wohnung ein. Da erfuhr sie, dass der neue Kollege durchaus um Lohn verhandelt hatte: «Im ersten Moment war ich irritiert. Das hätte ich nie erwartet.»

Wenn gleiche oder gleichwertige Arbeit vorliegt, haben Männer und Frauen Anspruch darauf, den gleichen Lohn zu erhalten.
Autor: Roger Rudolf Arbeitsrechtsexperte

Zuerst ging sie davon aus, es handle sich um eine kleine Differenz. Trotzdem sprach sie bei ihrem Mitarbeitergespräch ihren Chef auf diese Ungerechtigkeit an. Dieser habe abweisend reagiert und erst nach mehrmaligem Nachhaken versprochen, zu schauen, was sich machen lässt.

Verfassung schreibt Lohngleichheit vor

«Wenn gleiche oder gleichwertige Arbeit vorliegt, haben Männer und Frauen Anspruch darauf, den gleichen Lohn zu erhalten», sagt Arbeitsrechtsexperte Roger Rudolf. «Das ist sonnenklar und steht in der Verfassung.»

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Roger Rudolf: «Eine unterschiedliche Entlöhnung ist nur bei objektiven Gründen zulässig»
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Dann sei eine unterschiedliche Entlöhnung nur noch dann zulässig, wenn es objektive Gründe gebe, die dafürsprechen: Ausbildung, Berufserfahrung, höhere Leistung, höhere Verantwortung.

Arbeitgeberin lenkt ein

Sechs Wochen nach ihrem Mitarbeitergespräch erhielt Janina Stucki ein E-Mail mit Neuigkeiten: Sie verdiene ab nächsten Monat statt 100’000 neu 120’000 Franken pro Jahr – 20 Prozent mehr. «Ich war einerseits sehr erfreut, andererseits entspricht das nicht meinem Gerechtigkeitssinn, weil ich dachte, ich verdiene nun mehr als mein Arbeitskollege.» Als sie am nächsten Tag ihren Chef darauf ansprach, sagte dieser, jetzt würden alle im Managementteam gleich viel verdienen.

Die BKW Energie AG nimmt schriftlich Stellung, eine Lohndiskriminierung bestreitet sie: «Die Lohneinstufung von Frau Stucki wie auch aller anderen Mitarbeitenden erfolgte anhand objektiver und nachvollziehbarer Kriterien. Die Lohnerhöhung per 1. April erfolgte ebenso gemäss diesen Kriterien. Frau Stucki hatte zunehmend mehr Verantwortung übernommen und hat mit ihrer über zweijährigen Tätigkeit ihre Berufserfahrung erweitert.»

«Die Umstände sprechen natürlich für sich», sagt Arbeitsrechtsexperte Roger Rudolf. «Wenn ich mich beim Chef beklage, dass ich im Vergleich zu meinem Kollegen zu wenig Lohn erhalte und darauf kommt eine Lohnerhöhung, ist es zumindest glaubhaft gemacht, dass eine Lohndiskriminierung vorliegt.»

Mitte 2022 verliess Janina Stucki das Unternehmen. Sie beschloss, auch rückwirkend den Lohn einzuklagen und sich zu wehren.

Nur wenige wehren sich

Die wenigsten Arbeitnehmenden getrauen sich zu wehren. SRF Data hat 274 rechtskräftig abgeschlossene Fälle von Lohndiskriminierung aus den letzten 32 Jahren ausgewertet.

Die Fälle nahmen mit der Einführung des Gleichstellungsgesetzes 1996 deutlich zu. Seit Anfang der Nullerjahre gingen sie bis 2017 wieder zurück und seit Neuestem wieder hoch.

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Susanne Nef: «Betroffene fürchten um ihren Ruf»
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274 Fälle in über 30 Jahren, das ist wenig. Susanne Nef, Leiterin der Fachstelle Gleichstellung im Kanton Zürich beobachtet, dass sich die meisten Betroffenen nicht wagen, zu kämpfen.

«Sie haben Angst, dass der Weg zu lange sein könnte, fürchten, einen Schaden davonzutragen, dass sie ihre Stelle verlieren, einen schlechten Ruf bekommen oder ein schlechtes Zwischenzeugnis.» Viele Arbeitnehmerinnen hätten auch Angst, dass sie nach einem Gang vor Gericht keine Stelle mehr finden.

Sie zieht die Klage weiter

Der erste Gang führte Janina Stucki vor die Schlichtungsbehörde. Dort konnte keine Einigung gefunden werden. Deshalb schlug die Behörde vor, die Firma solle den höheren Lohn ab Anstellung des besser bezahlten Kollegen bezahlen. Damit hätte Janina Stucki 11'400 Franken erhalten.

Die Statistik zeigt klar: Von den wenigen Betroffenen, die sich vor einer Schlichtungsstelle wehren, akzeptieren fast drei Viertel einen Vergleich der Schlichtungsbehörde. Bei knapp einem Viertel kommt es wie bei Janina Stucki zu einer Nichteinigung. Ein kleiner Teil zieht sich zurück.

Janina Stucki akzeptiert den Vergleich nicht. Ihre Forderung: Den höheren Lohn ab dem ersten Tag ihrer Anstellung – das wären über 40'000 Franken. Sie zieht den Fall weiter und klagt vor Bezirksgericht Bern.

Die Kriterien sind nicht geschlechtsbezogen und führen auch nicht zu einer geschlechtsspezifischen Diskriminierung.
Autor: BKW

Die BKW schreibt «Kassensturz», Frau Stucki weise weniger Berufs- und relevante Facherfahrung aus, was bei der Einteilung berücksichtigt worden sei: «Die Kriterien sind nicht geschlechtsbezogen und führen auch nicht zu einer geschlechtsspezifischen Diskriminierung. Die BKW weist entsprechend die Anschuldigungen von Frau Stucki von sich.»

Janina Stucki ist überzeugt, dass es sich sehr wohl um eine geschlechterspezifische Lohndiskriminierung handelt. Deshalb kämpft sie weiter. «Ich mache es für alle Frauen, die nicht das Privileg haben, dass sie die zeitlichen, finanziellen und emotionalen Ressourcen haben.»

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Janina Stucki: «Ich mache es nicht für mich alleine»
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Für die BKW sind die Forderungen von Stucki unbegründet, da keine Lohndiskriminierung im Sinne des Gleichstellungsgesetzes vorliege und deshalb auch kein Anspruch auf Ausgleich einer Lohndifferenz bestehe. Dieser Standpunkt werde im Verfahren geltend gemacht.

Janina Stucki gibt nicht auf – notfalls will sie bis vor Bundesgericht gehen. Ihr ist wichtig, dass sich in Zukunft etwas verändert: «Ich mache das nicht für mich allein.»

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Sabrina Ghielmini: «Oft erfahren die betroffenen Personen per Zufall über die Lohndifferenz»
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Espresso, 23.01.24, 8:10 Uhr

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