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Blick in die Notrufzentrale «Für 144-Anrufer ist es eine Ausnahmesituation, für mich Alltag»

Zwischen dramatischen Anrufen und Routine: So gehen Notrufmitarbeitende mit der Belastung um.

Sybille Heid arbeitet seit 20 Jahren als Rettungssanitäterin. Mit 45 entscheidet sie sich, in die Notrufzentrale zu wechseln. Lange hadert sie mit diesem Schritt – sie weiss aber, dass die Arbeit im Aussendienst körperlich immer anstrengender wird. Heute ist sie froh, in der Notrufzentrale Bern im Hintergrund helfen zu können. Psychisch bleibt der Job aber belastend. Von den meisten Fällen kann sie sich emotional abgrenzen, doch manche nimmt sie mit nach Hause.

SRF Doku-Serie «Notrufzentrale»

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Ein Sendungsbild mit der Überschrift «Notrufzentrale». Im Hintergrund sieht man eine Stadt in der Nacht.
Legende: SRF

Die neue vierteilige Factual-Entertainment-Serie «Notrufzentrale» taucht hautnah in die oft unsichtbare Welt der Schweizer Notrufzentralen ein.

Die Serie begleitet je zwei Protagonistinnen oder Protagonisten aus verschiedenen Organisationen – darunter die Kantonspolizei Bern, Kantonspolizei Zürich, die Rega sowie die Sanitätsnotrufzentralen 144 in Basel und Bern.

Alle vier Folgen sind auf Play SRF abrufbar.

Ein wichtiger Grund, weshalb die Distanz gelingt: Am Telefon sieht sie die Menschen nicht. Sie hört nur ihre Stimmen, macht sich ein Bild der Situation – und kann sich schneller lösen. «Wenn man jedoch im Aussendienst ist, sieht man den Unfall, man hat Angehörige, die mit einem sprechen möchten, man sieht die ganze Geschichte – da muss man sich anders abgrenzen», sagt sie. Ein Motorradunfall, den sie mit eigenen Augen sieht, belaste sie länger als eine geschilderte Situation am Telefon eines Passanten.

Ganz frei von Belastung ist die Distanz aber nicht. «Das ist ein zweischneidiges Schwert», sagt Sybille. Manchmal wünschte sie, die Patientinnen und Patienten sehen zu können, um die Situation am Telefon besser einzuordnen.

Rituale, um sich abzugrenzen

Auch für Peter von der Rega-Notrufzentrale ist Abgrenzung entscheidend. «Mir bleibt nur der professionelle Umgang … ich darf das nicht mitnehmen und zu meinem Problem machen.» Nur so könne man in diesem Job alt werden. Denn das Telefon klingelt schon wieder: «Es geht weiter.»

Sein Kollege Mike hat eine andere Methode: Er setzt sich eine physische Grenze auf seiner Heimfahrt.

Für Sybille ist es das Umziehen nach Schichtende. «Wenn ich die Uniform ausziehe, bin ich wieder eine Privatperson. Dieses Ritual hilft mir am meisten.» Trotzdem gebe es Einsätze, die nachhallen. «Wenn Mütter anrufen und ins Telefon schreien, dass ihr Kind nicht mehr atmet – das nehme ich meistens mit nach Hause.»

Auch ältere Menschen, die verwahrlost wirken und keine Angehörigen haben, beschäftigten sie noch nach dem Dienst. In solchen Momenten rede sie mit ihrem Mann darüber.

Psychohygiene ist ein grosses Thema

Am Ende eines Arbeitstags bespricht Sybille schwierige Fälle mit ihren Kolleginnen und Kollegen. Manchmal ruft sie auch die ausgerückten Rettungssanitäter zurück, um zu erfahren, was sie angetroffen haben. Das helfe ihr, einen Fall abzuschliessen.

Marcus Ewinger, stellvertretender Leiter Bildungsgang Rettungssanität am Zentrum für medizinische Bildung in Bern, bestätigt die Bedeutung solcher Methoden. «In der Ausbildung lernen Studierende, Einsätze im Nachgang strukturiert zu analysieren – sowohl fachlich als auch emotional. Dazu gehören Debriefings in der Gruppe und das Führen von Reflexionsprotokollen. Die kritische Auseinandersetzung mit dem eigenen Handeln ist eine zentrale Beschäftigung während der Ausbildung.»

Vor 20 Jahren, als Sybille ihre Ausbildung macht, ist Psychohygiene kaum ein Thema. Heute sei das anders, sagt Ewinger. «Die Themen psychische Selbstfürsorge, Kommunikation und Reflexion wurden in den letzten Jahren verstärkt in die Ausbildung integriert.» Zudem lernen die Studierenden, ihre Stärken und Grenzen zu erkennen – und bei Bedarf um Hilfe zu bitten.

SRF 1, Notrufzentrale, 3.10.2025, 21 Uhr ; 

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