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Das Internet als Hörsaal
Aus 10 vor 10 vom 05.08.2013.
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Mensch Das Internet wird zum Hörsaal

Einen Vorlesung an der kalifornischen Elite-Uni Stanford besuchen – gratis und von zuhause aus? Ein neuer Trend macht das möglich. Jetzt beginnen auch Schweizer Universitäten mitzumischen. An der Uni Genf laufen die Vorbereitungen fürs Herbstsemester auf Hochtouren.

Michel Grandjean doziert über die Geschichte des Genfer Reformators Calvin. Er tut dies aber nicht im Hörsaal sondern an historischen Schauplätzen in Genf. Statt Studenten steht der Professor für Kirchengeschichte einer Kamera gegenüber – seine Vorlesung wird nur im Internet stattfinden.

Screenshot: Michel Grandjean in einem Video über seine Vorlesung zu Calvin.
Legende: Vorlesung im Internet: Ab Herbst können Studenten die Vorlesung von Michel Grandjean über den Reformator Calvin online verfolgen. SRF

Man müsse sich eben an die neuen Kommunikationskanäle anpassen, sagt Grandjean. «Als die Schrift erfunden wurde, war es zunächst wohl auch ein komisches Gefühl, sich an jemanden zu adressieren, den man nicht sah. Heute sind wir in einer ähnlichen Situation, weil wir uns via Internet an ein Publikum wenden, das wir nie treffen werden.» Die Calvin-Vorlesung wird im kommenden Herbstsemester in Häppchen von 50 Sequenzen zu je zehn Minuten ins Netz gestellt; Bereits jetzt haben sich 3500 Menschen aus aller Welt dafür angemeldet.

Wissen in die Welt tragen

«Massive Open Online Courses», kurz «MOOC» heissen solche Online-Kurse. Sie werden auf amerikanischen Internet-Plattformen wie coursera.org und edX.org oder europäischen Pendants wie iversity.org und openuped.eu angeboten und mit Übungen, Tests und Foren ergänzt. Die Teilnahme ist gratis und steht allen offen. Eine Immatrikulation an der Uni ist nicht nötig, allerdings laufen die Kurse ausserhalb der herkömmlichen Studiengänge. ECTS-Punkte sammeln oder gar einen Uni-Abschluss machen kann man damit nicht.

Dennoch: Mit den MOOCs tragen Hochschulen ihr Wissen aus dem engen Kreis der Unis in die weite Welt. Pablo Archard, der das Projekt an der Uni Genf leitet, sieht die Online-Kurse als Antwort auf die globale Entwicklung. «Man schätzt dass sich die Zahl der Studenten bis 2030 weltweit vervierfacht. Das Publikum wird grösser und heterogener, und der Trend geht Richtung lebenslanges Lernen. Die Online-Angebote sind eine Antwort auf all diese Umbrüche.»

Von Anfang an dabei

Während die Deutschschweizer Hochschulen erst zögerlich auf den Trend reagieren, war die ETH Lausanne von der erster Stunde an mit dabei. Und sie rührt mit der grossen Kelle an. Im eigens eingerichteten Studio werden pro Semester zehn neue Kurse aufgezeichnet. Kostenpunkt: 50'000 Franken pro Kurs.

Für Projektleiter Karl Aberer ist der Aufwand dennoch gerechtfertigt. Nicht zuletzt deshalb, weil die ETH Lausanne mit dem Online-Auftritt international für sich werben kann. «Mit 100'000 Studenten in einem Kurs hat man natürlich eine sehr hohe Sichtbarkeit, sowohl was potentielle Studenten aber auch Forschende für die ETH Lausanne betrifft.»

Zudem sucht man in Lausanne auch Wege, die MOOCs auch für die immatrikulierten Studenten nutzbar zu machen – und zwar so, dass die Leistung ans Studium anrechenbar ist. Aberer glaubt, dass künftig ganze Studiengänge online absolviert werden können. In den USA gibt es solche Angebote bereits.

Das Erlebnis vor Ort ist nicht ersetzbar

Das Hauptgebäude der Universität Genf.
Legende: Universität Genf: Die Lehrmethoden ändern sich, das Gebäude bleibt. Keystone

Hat der Hörsaal also ausgedient? Keinesfalls, heisst es an beiden Westschweizer Hochschulen. Die Gratis-Online-Kurse seien eine Ergänzung, kein Ersatz der herkömmlichen Vorlesung, erklärt Projektleiter Pablo Archard mit einem Vergleich: «Man kann einen Eishockey-Match bequem zuhause auf dem Sofa schauen – oder im Stadion, wo es kalt ist und die Bank hart. Und trotzdem gehen die Leute ins Stadion und zahlen dafür. Ganz einfach weil das Erlebnis, vor Ort zu sein, nicht ersetzbar ist.»

So geht die Genfer Vorlesung über Calvin zwar um die Welt – die Uni Genf bleibt dennoch stehen. Dort, wo sie seit 450 Jahren steht.

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