«Ich komme mir manchmal fast vor wie in New York», sagt Ayla Elkas. Sie wohnt seit August im neuen Holzhochhaus «H1 Zwhatt». Im zehnten Stock lebt sie in einer 3.5-Zimmer-Wohnung mit ihren drei Buben. Die Miete sei moderat.
Das «H1 Zwhatt» steht im zürcherischen Regensdorf und ist das bislang höchste Hochhaus der Schweiz, das in Holzbauweise gebaut wurde. 76 Meter hoch, 156 Wohnungen, die seit August auch bezogen sind. Es ist ein Holz-Hybrid-Bau: Die Holzstruktur beginnt ab dem dritten Stock – Fundament und Sockel sowie ein aussteifender Kern sind noch in Beton.
«Ich wollte immer schon in einem Hochhaus wohnen. Und dass es nun ein Holzhochhaus ist, macht es grad nochmals spezieller», sagt Ayla Elkas. Die junge Mutter wohnt seit jeher in Regensdorf und erzählt, dass sie von ihrer alten Wohnung aus gesehen habe, wie dieses Haus immer höher wurde.
Gemütlichkeit mit Auflagen
Heimelig sei es, mit so viel Holz zu wohnen. Aber es bringt auch Neuerungen mit sich: So mussten aus Brandschutzgründen bei so viel offen liegenden Holzbalken Sprinkleranlagen direkt in der Nähe des Holzes verlegt werden.
«Da haben wir entsprechende Auflagen erhalten, dass man an den Leitungen nichts aufhängen darf», sagt Elkas, «oder gar daran hochklettern». Besondere Angst vor einem Brand mache ihr der Anblick nicht, auch nicht bei Kerzenlicht wie jetzt dann wieder in der Adventszeit. «Man muss halt gut aufpassen. Wie in jeder Wohnung.»
Ansonsten sei es nicht viel anders als in anderen Wohnungen. Die dreifache Mutter geniesst vor allem das viele Licht in den Räumen und das angenehme Ambiente durch das viele Holz.
Im Holzhochhaus: Für die Aussicht und fürs Gewissen
Ganz hoch oben, auf über 70 Metern im 22. Stock, leben neu Beatrice und Marc Häberling. Das Ehepaar ist aus einer viel grösseren Wohnung in die zweieinhalb Zimmer gezogen und beschränkt sich jetzt bewusst auf 45 Quadratmeter.
Der Ausblick von so hoch oben sei grossartig. «Abends starte ich meine App und kann von hier aus beobachten, welche Flieger grad am Flughafen Zürich starten oder landen», schwärmt Planespotter Marc Häberling.
Beatrice Häberling hingegen ist es wichtig gewesen, in Holz zu wohnen: «Ich spüre das einfach, es ist viel gemütlicher – das tut meinem Gemüt gut.»
Nachhaltig und energieeffizient
An der gesamten Fassade sind ober- und unterhalb der Wohneinheiten horizontale Photovoltaik-Paneele angebracht. Sie liefern 30 bis 40 Prozent des Eigenbedarfs an Strom.
Für Häberlings produzieren diese Solarzellen noch etwas mehr. «Einerseits gibt uns das ein gutes Gewissen, weil wir deshalb auch nachhaltiger wohnen», sagt Marc Häberling. Und zweitens: Wenn man von so hoch oben senkrecht hinunterschaue, könne einem fast schwindlig werden. «Die Paneele oben und unten federn das etwas ab, das gibt uns ein anderes Gefühl von Sicherheit beim Hinausschauen.»
«Mit 75 Metern Höhe ist dieses Gebäude als Holzbau ein Massstabs-Sprung», erklärt ETH-Architektur-Professor Roger Boltshauser. Er hat das «H1» Zwhatt gebaut.
Das verwendete Holz ist eine speziell verleimte Stabbuche – eine Innovation eines Spin-offs der Technischen Hochschule Lausanne (EPFL).
Das ‹H1› ist ein Versuch, dicht, nachhaltig zu bauen – mit Schweizer Holz.
Meistens werden im Holzbau Fichte oder Lärche verwendet, also eher weiche Nadelhölzer. Die Buche ist als Laubholz seltener, dafür stabiler und edler.
Das Holz musste der Architekt aber zwei Jahre im Voraus bestellen. «Das ‹H1› ist ein Versuch, dicht, nachhaltig zu bauen – mit Schweizer Holz», sagt Boltshauser. Denn Bauen mit lokalem Holz verkürze die Transport- und Verarbeitungswege, das sei insgesamt nachhaltiger. «Wir konnten mit diesem Haus insgesamt 20 Prozent CO₂ einsparen, indem wir auf Holz gesetzt haben statt auf Beton», so Boltshauser.
Was ist die Klimaleistung von Holz?
- Ein Kubikmeter Holz kann etwa eine Tonne CO₂ speichern. Verbaut man Holz in Gebäuden, bleibt das CO₂ über lange Zeit gebunden und gelangt nicht in die Umwelt.
- Beton hingegen verursacht Emissionen von rund 200 Kilogramm CO₂ pro Kubikmeter. Das Potenzial für eine bessere Klimabilanz ist gross.
Beton verschwindet trotzdem nicht
Auch im Vorzeige-Hochhaus «H1» steckt noch Beton drin: im Fundament, im Sockel bis zum dritten Stock und in den Decken. Der Bau gilt drum als Holz-Beton-Hybrid-Bau.
Die Decken-Elemente bestehen aus Holzplatten, auf denen aber noch eine Schicht Beton liegt. Das sei nötig für die Stabilität.
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Bild 1 von 3. Holz-Beton-Hybrid-Decken, Säulen und Boden im «H1» während der Bauzeit. Bildquelle: Sandro Livio Straube.
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Bild 2 von 3. Holz-Beton-Hybrid-Elemente während der Bauphase des «H1 Zwhatt». Bildquelle: Sandro Livio Straube.
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Bild 3 von 3. Holz-Beton-Hybrid-Elemente während der Bauphase des «H1 Zwhatt». Bildquelle: Sandro Livio Straube.
Auch gibt es noch einen innenliegenden Kern aus Beton. Der Skelettbau besteht dann ab dem dritten Stock bis auf die Höhe von 75 Metern aus Buchenholz.
Holzbau-Boom: vor allem in die Höhe
In der Schweiz sind aktuell einige Grossprojekte in Holzbauweise geplant: so etwa das Projekt «Pi» in Zug (84 Meter hoch) oder das UBS-Hochhaus in Zürich-Altstetten (108 Meter).
Das neue «Dock A» am Flughafen Zürich wird eine grosse Holzdachkonstruktion erhalten, ebenso wie die neue Schwimmhalle in Zürich-Oerlikon, die mit Holz ganz neue Spannweiten erreichen will.
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Bild 1 von 4. Das Projekt «Pi» in Zug, 84 Meter. Bildquelle: Visualisierung: Tech Cluster Zug AG.
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Bild 2 von 4. Das geplante UBS-Hochhaus in Zürich-Altstetten, 108 Meter. Bildquelle: Visualisierung: Itten+Brechbühl AG.
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Bild 3 von 4. Die Dachkonstruktion des geplanten «Dock A» am Flughafen Zürich. Bildquelle: Visualisierung: Zürich Flughafen.
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Bild 4 von 4. Die geplante Holzdachkonstruktion der Schwimmhalle Zürich-Oerlikon. Bildquelle: Visualisierung: Boltshauser Architekten.
Im internationalen Vergleich schwingt das «Ascent MKE» in Milwaukee im US-Bundesstaat Wisconsin obenaus: Mit 25 Stockwerken und einer Höhe von 87 Metern gilt es derzeit als höchstes Holzhaus der Welt.
Noch ganz andere Dimensionen peilt das Projekt «W350» in Tokio an: Die futuristische Konzeptidee soll schwindelerregende 350 Meter Höhe erreichen und könnte 2041 gebaut werden – existiert aber noch erst als Studie.
Nicht immer läuft es indes wie geplant: So hätte der 100 Meter hohe Wohnturm «Rocket» in Winterthur eigentlich als Holzbau realisiert werden sollen. Anfang Oktober ist die Betreiberfirma aber zurückgerudert und baut nun doch in Beton. Aus wirtschaftlichen Überlegungen. Mit CO₂-reduziertem Beton versucht man, den Klima-Impact dennoch klein zu halten.
Hochhäuser aus Holz sind primär Leuchtturm-Projekte. In der Schweiz spielt die Musik vor allem bei Aufstockungen.
Bei Ausschreibungen von grossen Bauprojekten sind die Auswirkungen auf das Klima ein immer wichtigerer Faktor. Besonders bei öffentlichen Bauten.
Doch Hochhäuser aus Holz seien primär Leuchtturm-Projekte, sagt Olin Bartlome, Bauingenieur und Holz-Experte beim Swiss Wood Innovation Network. Und wenn ein Gebäude von Anfang an nachhaltig mit Holz geplant werde, sei es in der Regel etwa fünf bis zehn Prozent teurer als aus Beton.
In der Schweiz spiele die Musik vor allem bei Aufstockungen: «Ein bis zwei Etagen in Holz auf ein vier- oder fünfstöckiges Gebäude in den Städten – das macht Sinn, weil in Holz sehr einfach und schnell aufgestockt werden kann», sagt Bartlome.
Holz weiter erforschen
Vieles am Baustoff Holz ist noch unerforscht, gerade etwa, wie er sich bei grossen Belastungen verhält. Die Forschenden tüfteln deshalb an immer neuen Innovationen, wie Holzprodukte noch stärker und langlebiger werden.
Zum Beispiel mit Schichtholz (also längs und quer verleimten Holz-Lagen), das zwischen den Schichten durch Kohlestoff-Fasern verstärkt wird, und so noch grössere Lasten tragen kann. Gerade im Hochhausbau wird das immer wichtiger.
An der ETH, in der Testhalle des Instituts für Baustatik und Konstruktion, traktieren die Forschenden um den Professor für Holzbau Andrea Frangi riesige Holzträger mit einem hauseigen entwickelten Durchschlagspendel. Die daraus gewonnenen Testdaten helfen, die Belastbarkeit von Holzelementen immer besser zu verstehen und neue Ansätze auszuloten.
«Aktuell arbeiten wir zum Beispiel daran, wie wir neuartige Schichtholz-Elemente zusätzlich mit Kohlefaser-Schichten verstärken können, um etwa doppelt so grosse Lasten zu bewältigen», sagt Andrea Frangi.
In Experimenten wird an der ETH auch simuliert, wie sich Holzprodukte verhalten, wenn sie grosser Hitze oder Druck ausgesetzt sind.
Mit Holzbau in die Zukunft
«Wir stehen noch am Anfang. Die ganze Klimafrage fordert uns Entwerfer und Architektinnen heraus, andere Strategien zu suchen», sagt Architekt Roger Boltshauser. «Das hat das ‹H1› vermutlich erst ermöglicht, denn noch vor zehn Jahren wäre die Frage der Nachhaltigkeit nicht so deutlich auf dem Tisch gewesen wie heute.» Alle würden nun nach Antworten für das Bauen der Zukunft suchen, «und Holz ist eine Möglichkeit – eine gute, wie wir finden.»
Für die Bewohner des «H1 Zwhatt» in Regensdorf steht Holz vor allem für Gemütlichkeit und Wärme. Sie schätzen aber auch die ganz speziellen Vorteile eines Hochhauses: Wenn Marc Häberling am Fenster im 22. Stock in die Ferne blickt, «fühlt sich das an, als würde mir die ganze Welt gehören.»
Nachhaltig und verdichtet bauen, mit Holz – und auch in die Höhe – das könnte ein Modell für urbanes Wohnen in der Zukunft werden.