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70. Filmfestival Cannes Godard ist nicht tot, aber eine Witzfigur

Michel Hazanavicius liebt Jean-Luc Godard. Wenn er sich aber für seine Demontage-Hommage «Le redoutable» auf die Memoiren von Godards zweiter Ehefrau stützt, ist eines klar: Ein verklärter Blick wird das nicht.

Anne Wiasemskys Memoiren tragen Titel «Un an après». Die Ehe zwischen Jean-Luc Godard und der jungen Frau aus grossbürgerlichem Haus hat nicht lange gehalten.

Sie war 17, als sie Godard kennenlernte. Sie hatte bei Robert Bresson 1966 die Marie in «Au hasard Balthazar» gespielt. Schon im Jahr darauf besetzte sie Godard als Véronique in «La chinoise».

Frisch ab Leinwand

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SRF-Filmkritiker Michael Sennhauser schaut sich am Festival Cannes die wichtigen Filme an und schreibt über seine ersten unmittelbaren Eindrücke.

Mehr Filmbesprechungen unter sennhausersfilmblog.ch.

Neue Liebe, neuer Godard

Anne und der Film, das Voice-over und die Inszenierung, machen schnell klar: Die junge Schauspielerin hatte sich in den Regie-Star der «nouvelle vague» verliebt, als Godard gerade begann, sich als Revolutionär neu zu erfinden.

Michel Hazanavicius spielt bis zum Überdruss mit dem Kontrast zwischen dem bürgerlich privilegierten Leben Godards und seinen revolutionären Attitüde.

Der Blick des Films ist klar definiert. Jean-Luc Godard kommt nicht gut weg mit seinen zunehmend verzweifelten Versuchen, sich dem Erfolg und der kulturellen Vereinnahmung zu entziehen.

Kunst und Kontrast

Dabei spielt Regisseur Hazanavicius wie schon bei seinem bisher grössten Erfolg «The Artist» mit dem Erinnerungswert des Kinos. Schon die farbigen Titelschriftzüge tragen Godards Stil.

Später kommen fast alle Gimmicks dazu, die der Meister seinerzeit eingeführt hat: abrupte Schnitte, Negativbilder, Doppeldeklamationen in die Kamera oder Untertitel, die nicht sprachlich übersetzen, sondern inhaltlich.

Mit all diesen Bezügen signalisiert der Film seine Bewunderung für Godards Kunst. Das macht den Kontrast zum kindisch-trotzigen Mann um so komischer.

Filmstill: Junge Menschen rennen durch die Strasse, einer trägt eine rote Flagge.
Legende: Rette sich, wer kann: Jean-Luc Godard als «Maoisten-Furz». Studio Canal

Monsieur Maoisten-Furz

Dann ist da Louis Garrel, sonst oft als arroganter, stiller Brüter besetzt, diesmal aber als Karikatur des Vorbilds – bis hin zur beginnenden Glatze und einem penetrant überzeichneten Lispeln. Das hätte leicht ins Bösartige abgleiten können, wären die Sentenzen und Paradoxien, die der Mann von sich gibt, nicht immer wieder so brillant und witzig.

Mitunter machen Garrel und Hazanavicius ihren Godard gar zu einer Art Woody-Allen-Figur. Bei jeder Begegnung mit den Autoritäten, bei jedem Demo-Einsatz und bei jeder Flucht vor der Polizei fällt ihm die Brille zu Boden und wird unweigerlich zertrampelt.

Französisches Kino im Porträt

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Die Dokumentation «CinéKino Frankreich» lässt wichtige Momente der französischen Filmgeschichte Revue passieren. Ein leichtfüssiger Blick von der Erfindung des Kinos durch die Gebrüder Lumière bis zu den grossen Namen wie Deneuve und Dépardieu.

Die grossen Demonstrationen in Paris von 1968 inszeniert Hazanavicius mit Verve. Ebenso die Vollversammlungen in der Universität, bei denen Godard feststellen muss, dass er an der Studentenrevolution nur die Revolution liebt, nicht aber die Studenten. Die sind jung und tun ihn ab als alten Maoisten-Furz. Was er sogar irgendwie nachvollziehen kann.

Vielschichtiges Bild

«Le redoutable» ist ein unterhaltsamer und zuweilen erhellender Einblick in ein komplexes Leben eines komplexen Mannes. Insbesondere beeindruckt und beelendet die selbstzerstörerische und verbissene Konsequenz, mit der sich Godard in sein revolutionäres Denken und Brüten stürzte.

Gerade weil der Film seine komischen Qualitäten hat und sich und seine Themen nie so ernst nimmt, wie es Godards spätere Filme mit allem zu tun scheinen, bleibt ein überraschend vielschichtiges Bild von dem Mann.

Von seiner zweiten Frau erfahren wir dagegen erstaunlich wenig, wenn man bedenkt, dass das eigentlich ihre Geschichte sein soll.

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