Zum Inhalt springen

Header

Video
«Wer hat Angst vor Sibylle Berg» am ZFF
Aus Kultur Extras vom 02.10.2015.
abspielen. Laufzeit 1 Minute 43 Sekunden.
Inhalt

Filmfestival Zürich In der Schweiz verenden? Es gibt Schlimmeres, sagt Sibylle Berg.

«Wer hat Angst vor Sibylle Berg?» ist eine launige Kino-Reportage über die deutsche Schriftstellerin mit Schweizer Staatsbürgerschaft. Wer trägt den Film? Sibylle Berg. Warum sollte man sich das Werk auf dem Zurich Film Festival anschauen? Wegen Sibylle Berg.

Worum geht es in «Wer hat Angst vor Sibylle Berg?» Um einen Star der Literaturszene, um eine Mediengrösse, um eine starke Frau, kurz gesagt um die Schriftstellerin Sibylle Berg, die irgendwer irgendwann mal «die weibliche Antwort auf Michel Houellebecq» genannt hat.

Was es mit dem Filmtitel auf sich hat, wird gleich am Anfang klargestellt: Es geht um das Unverständnis der Autorin, warum viele Menschen sich von ihr provoziert fühlen und sie mit Schlagzeilen wie «Designerin des Schreckens» oder «eine Hasspredigerin der Singlegesellschaft» betiteln. Der Film gibt auch gleich die Antwort: Weil jede von Sibylle Bergs Aussagen rhetorisch scharf geschliffen ist wie ein Stilett und der Inhalt dieser Aussagen überraschend ist wie ein angetäuschter rechter Haken.

Sibylle Berg
Legende: Sibylle Berg spielt auch gerne mit Kamera-Drohnen. Böller & Brot

Anekdoten und Mythen

Episodisch, anekdotisch und oft sehr humorig ist dieser Streifzug durch das bewegte Leben der 53-Jährigen. Sie spricht von ihrer Jugend in der DDR und führt den Zuschauer an die Tessiner Schauspielschule des Clowns Dimitri, die sie besucht hat. Natürlich erzählt sie den Mythos von den 50 Absagen, die sie bekam, bevor sie ihren Debütroman «Ein paar Leute suchen das Glück und lachen sich tot» verkauft hat. Man erfährt auch, dass Sibylle Berg – seit 2012 Schweizer Staatsbürgerin – früher nach Los Angeles ziehen wollte. Jetzt aber glaubt sie, dass es Schlimmeres gäbe, «als in der Schweiz zu verenden.»

«Wer hat Angst vor Sibylle Berg?» ist zum Glück keine glattgebügelte Künstlerbiografie, sondern kommt schnodderig und ungeschliffen daher. Der Film funktioniert nach dem Puzzleprinzip. Die Reportage ist ein Sammelsurium aus Bekenntnissen, die einem an den Kopf geworfen werden und am Ende ein Bild der Autorin ergeben.

«Randgruppen-Scheisse»

Der geneigte Zuschauer erfährt, dass Sibylle Berg «Thomas Mann sowas von blöde findet». Bestsellerautorin Danielle Steele hingegen gesteht sie das Talent zu, «viele, viele Menschen zu begeistern». E.L. James' Erotikroman «Shades of Grey» wiederum empfindet sie als so schlecht, dass es ihr nur schwer gelingen würde, ein solches Buch zu schreiben. Den kommerziellen Wert ihrer Bücher, im Vergleich zu den genannten Autorinnen, deklariert sie derb als «Randgruppen-Scheisse».

Drei Frauen auf der Wiese
Legende: Sibylle Berg mit ihren Freundinnen: Schauspielerin Katja Riemann (rechts) und Autorin Helene Hegemann (links). Böller & Brot

Der «allerblödeste Satz»

Die Antwort auf die Frage aller Fragen – wie sie zum Schreiben kam – gibt es auch, obwohl die für Sibylle Berg der «allerblödeste Satz» überhaupt ist. «Ich hab angefangen, weil ich nichts konnte und immer Bücher gelesen habe», sagt sie im Film. Bei Aussagen wie diesen, muss man natürlich vorsichtig sein.

Sibylle Berg ist eine Meisterin der Selbstinszenierung. Da sie ihre Auftritte mit viel Selbstironie würzt, fällt das nicht immer auf. Dazu kommt, dass die Momente und Interviews, die in dem Film gesammelt sind, spontan, zufällig und deshalb ehrlich wirken, was an der schlichten Inszenierung liegt. Beschönigt wird da wenig. Die Haare von Sibylle Berg fliegen wirr in der Gegend rum und die Kameraarbeit wirkt, als hätte ein Freund der Autorin, aus einer Laune heraus, das Aufnahmegerät angeschaltet und einfach draufgehalten.

Wer ist Sibylle Berg?

Die, die Sybille Bergs Auftritte kennen und ihre Bücher und Kolumnen lesen, bekommen bestätigt, dass die Frau anders ist als andere, ohne dass man das Andere genauer definieren kann und dass sie kluge, provozierende und witzige Dinge von sich geben kann. Wer den Film ohne Vorwissen sieht, wird entweder denken: «Was für eine seltsame Person» – oder ihrem Charme erliegen. Dem Unterhaltungswert des Films tut das in keinem der Fälle einen Abbruch.

Weiss man am Ende, wer Sibylle Berg ist? Sicherlich nicht. Man lernt die öffentliche Person kennen, kann aber nur vermuten, wie sie jenseits der Öffentlichkeit sein könnte. «Bevor Sibylle Berg Sibylle Berg wurde, wusste keiner, dass sie Sybille Berg ist», sagt ihr Lektor im Film so schön. Kurz gesagt: Am Ende bleibt die Frau ein Rätsel. So verlässt der geneigte Zuschauer das Kino amüsiert und ratlos. Er geniesst dieses Gefühl und versucht das gleichzeitige Grinsen und Grübeln unter einen Hut zu bekommen.

Sendung: Filmfestival Zürich 2015 – Das Spezial, SRF 1, 30.9.2015, 23:10 Uhr.

Meistgelesene Artikel