Schreibt das Leben die besten Geschichten, wie der Volksmund meint? Oder werden diese erst geboren, wenn man sich an realen Volksinitiativen orientiert und sie auf die Spitze treibt? «Bon Schuur Ticino» hält sich an die zweite, weniger griffige Faustregel und macht das Allerbeste daraus.
Komiker Beat Schlatter liess sich offensichtlich von der sogenannten «No-Billag-Initiative» inspirieren, die unser Land 2018 in Atem hielt. Der Zürcher leitete daraus die «No-Bilingue-Initiative» ab und erzählte Regisseur Peter Luisi von seiner Filmidee: «Stell dir vor, dass eine Initiative die Mehrsprachigkeit abschaffen wollte. Und die Abstimmung so laufen würde, dass schliesslich Französisch die einzige Landessprache wäre.»
Komödienspezialist Peter Luisi war begeistert vom delikaten Gedankenexperiment. Zum einen, weil er darin ein Deutschschweizer Horrorszenario erkannte, das auf beiden Seiten des Röstigrabens für Lacher sorgen würde. Zum anderen, weil er damit eine absurd anmutende Tatsache ausschlachten könnte: «Dass wir als eines der kleinsten Länder Europas die meisten offiziellen Sprachen besitzen. Das allein ist schon eine Komödie wert.»
Beat Schlatter glänzt gleich doppelt
Kabarettist Beat Schlatter spielt im gemeinsam mit Peter Luisi entwickelten 90-Minüter eine Doppelrolle. Neben Jeannot Bachmann, dem sprachbegabten Vater der Initiative, verkörpert er auch den eigentlichen Helden des Films: Walter Egli ist ein einfacher Bundesbeamter, der – wie die allermeisten Deutschschweizer – vom Volksentscheid kalt erwischt wird.
Eine Rolle, mit der sich der 62-Jährige voll identifizieren kann: «Ich spreche nach wie vor so gut wie kein Französisch. Gerade deswegen kam mir das Ganze wohl in den Sinn: Weil man für den Helden ja immer die denkbar schlimmste Situation sucht, damit sich dieser maximal bewähren kann.»
Ausgerechnet ein Zürcher, der die französische Sprache hasst, muss dafür sorgen, dass der Volksentscheid umgesetzt wird. Das erzeugt Situationen zum Fremdschämen en masse. Zum Beispiel, wenn Herr Egli bei einer fünfköpfigen Familie anklopft, um diese an den baldigen Sprachwechsel zu erinnern: «Weil Sie in einer subventionierten Wohnung leben und ein Halbtax besitzen, müssen Sie ab dem 15. Oktober auch in den eigenen vier Wänden Französisch reden.»
Deliziös durchdekliniert
Was geschähe, wenn die Schnapsidee national durchgesetzt würde? Peter Luisi dekliniert das liebevoll durch, mit köstlichen Konsequenzen fürs gesellschaftliche Gefüge: Deutschland – von Schweizer Sprachflüchtlingen überrannt – wäre entsetzt von den vielen schlecht Deutsch sprechenden Kindern, die nun ihre Schulen besuchten.
Im schon vom frankophilen Namen der Initiative brüskierten Tessin wären die Folgen noch gravierender. Angestachelt von einem revolutionären Separatisten (grandios gespielt von Leonardo Nigro) würde die italienische Schweiz ihre Unabhängigkeit ausrufen: «Lang lebe der freie Staat Ticinia!»
Völlig an den Haaren herbeigezogen ist ein solches Szenario mit Blick auf reale Sezessionsgelüste nicht. Zumal Peter Luisi im Südkanton auf der Suche nach Drehbewilligungen erst dann mit offenen Armen empfangen wurde, als er vom Skript erzählte: «Es geht ums Tessin, das sich vom Rest des Landes abspalten ...»
Noch bevor er den Satz beendet hatte, unterbrach ihn sein Gegenüber euphorisch: «Ja! Ja! Da machen wir sofort mit!»
Kinostart: 30.11.2023