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Gesellschaft & Religion Das Verbot dieses Plakats macht Platz für Verschwörungstheorien

Eine Diätmittel-Werbung verspricht in Londons Bahnhöfen den «perfekten Strand-Körper». Bürgermeister Sadiq Khan will diese da in Zukunft nicht mehr sehen, junge Frauen könnten auf dumme Ideen kommen. Das Verbot erhitzt die Gemüter: Aktivisten jubeln, Kritiker sprechen von Zensur oder sogar Scharia.

Als eine seiner ersten Amtshandlungen hat der neue Bürgermeister von London, Sadiq Khan, die Werbekampagne eines Diätmittels im öffentlichen Nahverkehr verboten.

«Als Vater von zwei Teenagern bin ich zutiefst besorgt über eine Art von Werbung, die Menschen, insbesondere Frauen, erniedrigen kann, sodass sie sich für ihre Körper schämen», sagte Khan in einer Mitteilung. Die Plakate der Kampagne hingen an Bahnhöfen und in der U-Bahn, da könne man sich ihnen nicht entziehen, argumentierte Khan.

Jubel, Skepsis und Kritik unter der Gürtellinie

Die ersten Reaktionen auf den Entscheid fallen in drei Kategorien: Die einen bewerten die Aktion positiv, sie halten den Entscheid für einen Fortschritt. Andere sehen die Meinungsfreiheit in Gefahr. Sie beschuldigen Khan der Zensur, argumentieren also von einem bürgerrechtlichen Standpunkt aus. Wieder andere zielen unter die Gürtellinie. Sie führen Khans Entscheidung auf seine pakistanische Herkunft zurück. Auf Twitter kursieren bereits Photoshop-Varianten des Plakats: Statt eines Bikinis trägt die Frau einen Schleier.

Khan kommt aus dem Kaschmir und ist praktizierender Moslem. Kritiker werfen ihm vor, er wolle die Scharia, das islamische Gesetz, durch die Hintertür in London einführen. Das sei nur der Anfang eines riesigen Verschwörungsprojekts, sagt Grossbritannien-Korrespondent Martin Alioth.

Diese Gegner würden die Gunst der Stunde nutzen, über Khans Herkunft statt über die Auswirkungen solcher Plakate zu diskutieren. «Sadiq Khan ist ein glatter Labour-Politiker. Sprich: kein Ideologe, geschweige denn ein religiöser Ideologe. Diese Reaktionen sagen letztlich mehr über die Kritiker aus als über den Kritisierten», sagt Alioth.

Was hat Vorrang?

Der Entscheid, die Plakate auf Bussen und in der U-Bahn zu verbieten, fällt in einen Graubereich: Zum einen gibt es die Interessen einer Gesellschaft, die möglichst frei und ungebunden kommunizieren will. Zum anderen stehen da die Interessen einer Bevölkerungsgruppe – meist junger Frauen – die sich wegen der Plakate als unzureichend empfinden. Diese habe das Recht von der Gesellschaft geschützt zu werden. Es ist ein Graubereich, ein Thema, bei dem es keine Grundwahrheiten gibt.

Eine Wahrheit ist allein angesichts der unterschiedlichen Perspektiven in dieser Debatte schwierig zu finden, bietet sie doch genug Zunder für viele Diskussionen. So meldete sich auch das Model der Kampagne via Twitter zu Wort – mit einem ganz anderen Aspekt: Sie verstand die Kritik des Londoner Bürgermeisters als Kritik an ihrem Körper.

Ein User half sich mit Humor über das Dilemma hinweg. Er ignorierte die rhetorische Natur der Frage auf dem Plakat und erstellte ein Fliessdiagramm, damit jeder auf die passende Antwort kommt.

Sendung: Kultur kompakt, 15. Juni 2016, 8.20 Uhr.

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