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Gesellschaft & Religion Die Waldenserkirche schafft Flüchtlingen neue, sichere Wege

Die Kirchen in Italien haben geschafft, was die Politik anscheinend nicht wagt: Dank sogenannt humanitärer Korridore können tausend Flüchtlinge auf sicherem und legalem Weg nach Italien reisen. Möglich ist das nur wegen der Waldenserkirche.

Der evangelische Kirchenbund ist im katholischen Italien zwar klein, engagiert sich aber seit langem für Flüchtlinge. Aktuell mehr denn je: Zusammen mit der katholischen Gemeinschaft Sant’Egidio hat der italienische evangelische Kirchenbund das Projekt «Mediterranean Hope» ins Leben gerufen. Unter anderem hat das Projekt sogenannte humanitäre Visa möglich gemacht: Die Kirchen haben von den italienischen Behörden die Erlaubnis, so tausend Flüchtlinge sicher und legal nach Italien zu bringen.

Lösung humanitäre Visa?

«Wir finden, es macht keinen Sinn, dass Menschen, die Anrecht auf Asyl haben, erst eine extrem gefährliche Reise überleben müssen, um ihren Antrag dann stellen zu können», sagt die Sprecherin des Kirchenbundes, Gaëlle Courtens.

«Mediterranean Hope» hat erreicht, dass Flüchtlinge in Marokko oder im Libanon auf der italienischen Botschaft einen Antrag auf ein humanitäres Visum stellen können. Doch ein Visum erhält man nicht einfach so, so Courtens: «Es muss eine humanitäre Notlage vorliegen, etwa ein schwerkrankes Kind, das nicht angemessen behandelt werden kann.» Auszuwählen, wer so nach Rom reisen darf, sei nicht einfach.

Ehemalig Verfolgte als «Sponsor»

Diese Korridore einzurichten, kostet Geld. Finanziert wird das Projekt vor allem durch die Gelder der Waldenserkirche in Italien. Denn die ist reich: Da in Italien alle eine Art Kirchensteuer bezahlen müssen (das sogenannte «otto per mille»), aber wählen können, wem sie das Geld geben wollen, machen viele das Kreuz bei den Waldensern. Diese setzt dann die Steuererträge für soziale Projekte ein, was vielen Italienerinnen und Italienern sympathisch ist.

Dass sich die Waldenser für Flüchtlinge einsetzen, erklärt sich auch aus ihrer eigenen Geschichte. Entstanden im 12. Jahrhundert, wehrte sich die Gruppe um den Lyoner Kaufmann Petrus Valdes gegen das klerikale Establishment. Genauer: gegen die «Verweltlichung und Unwürdigkeit des Klerus». Die Laienbewegung war etwa gegen den Ablasshandel, gegen die Heiligenverehrung, setzte Laienprediger ein und liess sich die Bibel in die Volkssprache übersetzen.

Weil sich viele dieser Anliegen mit denjenigen der Reformatoren decken, spricht man auch von einer vorreformatorischen Bewegung. Unweigerlich kam es zum Konflikt mit der katholischen Kirche: Valdes wurde 1182/83 exkommuniziert und zusammen mit seinen Anhängern aus der Stadt Lyon und Umgebung vertrieben.

Inquisition, Vertreibung und Verzeihung

Die Gemeinde zog sich in unwegsame Gebirgstäler der französisch-italienischen Alpen zurück, bis sie sich Anfang 16. Jahrhundert der Reformation anschlossen. Bürgerliche und politische Rechte wurden den Waldensern erst 1848 zugesprochen – nach fast 700 Jahren Verfolgung. Heute zählt die Gemeinde rund 98‘000 Mitglieder, knapp 50‘000 Waldenser leben in Italien und 400 in der Schweiz.Letztes Jahr bat Papst Franziskus die Waldenser für die erlittenen Verfolgungen um Verzeihung.

Ob die heute Vertriebenen und Verfolgten auch je jemand um Verzeihung bitten wird, kann man bloss hoffen. Das Engagement der Waldenser hilft tausend Menschen unmittelbar – angesichts der Millionen, die auf der Flucht sind, ein Tropfen auf den heissen Stein. Ja, sagt Gaëlle Courtens, das ist es. «Aber wir wollen mit unserem kleinen Projekt der internationalen Gemeinschaft einen möglichen Weg zeigen, wie wir mit den Flüchtlingen umgehen könnten.» Und frei von Zynismus kommt man nicht umhin zu sagen: Jedes Menschenleben, das nicht auf der Überfahrt im Mittelmeer ausgelöscht wird, rechtfertigt das Anliegen.

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