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Gesellschaft & Religion Ein Denkmal für die «letzte Hexe»

Der 1782 in Glarus hingerichteten Anna Göldi begegnet man derzeit allenthalben: In einem Hörspiel, im Anna-Göldi-Museum, in einer neuen Buchausgabe – und möglicherweise bald bei einem Denkmal. Ein Gespräch mit dem Glarner Buchautor und Vizepräsidenten der Anna-Göldi-Stiftung Walter Hauser.

Walter Hauser, seit Herbst letzten Jahres setzt sich ein Komitee unter Ihrer Leitung für eine Anna-Göldi-Gedenkstätte mitten in Glarus ein. Was hat es mit diesem Projekt auf sich?

Zur Person

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Walter Hauser, Jahrgang 1957, ist aufgewachsen im Kanton Glarus und studierte Rechtswissenschaft mit anschliessender Promotion zum Dr. jur an der Universität Zürich. Seit 1984 ist er als Journalist und seit 1995 auch als Schriftsteller tätig.

Wir bemühen uns um eine Gedenkstätte, die Anna Göldi und ihr Schicksal vergegenwärtigen soll. Anna Göldi ist ja nicht nur die letzte sogenannte Hexe, die in Glarus hingerichtet wurde, sie ist auch die erste demokratisch rehabilitierte «Hexe». Wir wollen nicht nur den Schandfleck nochmal hochspielen im Glarnerland, die Stätte soll auch an die 2008 durch das Parlament ausgesprochene Rehabilitierung erinnern.

Eine Fachjury unter der Leitung von Professor Peter Jenny hat unter 50 künstlerischen Beiträgen drei ausgewählt. Eine Variante, die Lichtvariante, soll jetzt beim Gerichtshaus in Glarus umgesetzt werden. Die Gerichtspräsidenten als Hausherren des Gerichtshauses haben dem Projekt bereits zugestimmt.

Ende Oktober erscheint eine ergänzte und überarbeitete Neufassung von Ihrem Buch «Der Justizmord an Anna Göldi» aus dem Jahr 2007 unter dem Titel «Hinrichtung und Rehabilitierung der Anna Göldi». Welche neuen Erkenntnisse, neuen Aspekte finden wir in dieser Neufassung?

Walter Hauser
Legende: Walter Hauser hat sein Buch über Anna Göldi nochmals überarbeitet. Sabine Wunderlin

Interessant ist zu sehen, wie Fachleute dieses Thema einstufen. Im Buch kommt zum Beispiel die Hexenforscherin der Schweiz, PD Dr. phil Kathrin Utz Tremp aus Fribourg, zu Wort. Diese Historikerin und Spezialistin für mittelalterliche Geschichte hat, gestützt auf die Rehabilitierung von Anna Göldi, 2009 die Rehabilitierung von Catherine «Catillon» Repond in Fribourg erwirkt – die zweite Hexen-Rehabilitierung in der Schweiz. Ausserdem verdankt Fribourg seinen 2010 eingeweihten Hexenplatz der Initiative von Frau Dr. Utz Tremp.

Dann kommt in meinem neuen Buch auch Otto Sigg zu Wort. Der frühere Staatsarchivar des Kantons Zürich ist der Hexenforscher von Zürich. Letztes Jahr hat er das Hexenbuch von Zürich herausgebracht. Otto Sigg ist der Meinung, der Kanton Zürich könnte mehr tun für die Rehabilitierung der Hexen, die hier hingerichtet wurden. Zürich habe dieses Thema etwas verschlafen. Er plädiert sogar seinerseits für ein Denkmal beim Zürcher Helmhaus, wo früher die Gräueltaten stattfanden.

Buchhinweis

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Walter Hauser: «Hinrichtung und Rehabilitierung der Anna Göldi». Limmat Verlag, 2013 (erscheint im Oktober).

Ich habe auch einige Nebenaspekte erforscht. Zum Beispiel bin ich der Frage nachgegangen, wo die Gebeine der Anna Göldi sind. Natürlich kann ich jetzt nicht mit Sicherheit sagen, was mit ihnen passiert ist. Interessant ist aber, dass man 1926, beim Umbau des Kantonsspitals Glarus, auf die Gebeine von Hingerichteten gestossen ist. Die damalige Polemik um diese Gebeine kann man ebenfalls nachlesen in meinem Buch.

Eine Art Hexenjagd kann man gegenwärtig beobachten im Zusammenhang mit dem Ex-CIA-Agenten Edward Snowden. Gibt es Parallelen zur Geschichte der Anna Göldi?

Es bestehen absolut Parallelen zum Fall. Melchior Kubli, der Gerichtsschreiber im Göldi-Prozess, war einer der ersten Whistleblower. Er hatte damals – dazu muss man wissen: das war ja kein öffentlicher Prozess, es war ein Geheimprozess! Und wenn die Leute davon gewusst hätten, wäre er zum Tode verurteilt worden! – also Melchior Kubli hatte heimlich Akten vom Geheimprozess Göldi an deutsche Journalisten weitergegeben, und die haben den Fall veröffentlicht. Nur deshalb erfuhr die Öffentlichkeit von diesem Fall.

Und aus diesem Grund wurde auch der deutsche Publizist Lehmann, der erste Verfasser der Publikationen, zum Staatsfeind erklärt und steckbrieflich gesucht. Aufgrund der Tagebuchaufzeichnungen dieses Herrn Lehmann, auf die ich während meiner Recherchen für das erste Buch gestossen bin, kann ich eindeutig nachweisen, dass tatsächlich Melchior Kubli, der Gerichtsschreiber, diesem Lehmann die geheimen Akten übergeben hat.

Sie sind Jurist. Ist im Rahmen der modernen Rechtsprechung ein Fall wie der von Anna Göldi denkbar?

Genau so ein Fall sicher nicht. Aber Justizwillkür gibt es auch heute noch. Sie ist latent vorhanden, wenn man die Rechtsstaatlichkeit von Verfahren immer mehr reduzieren will, weil man Sündenböcke auch heute noch möglichst hart bestrafen will. Stimmungen im Volk, die solche Forderungen stellen, spürt man immer wieder. Das Strafrecht ist die schärfste Waffe des Staates gegen den Einzelnen. Und damals, zu Zeiten von Anna Göldi, konnte man sich überhaupt nicht wehren gegen eine harte Bestrafung, man konnte sich ja nicht einmal gegen eine Anklage zur Wehr setzen!

Das Hörspiel

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«Anna Göldi», fünfteiliges Hörspiel von Walter Wefel nach dem 1945 erschienenen Roman von Kaspar Freuler.

Vom 28. August bis 22. September jeweils sonntags um 14 Uhr auf SRF Musikwelle.

Deshalb ist es gefährlich, wenn heutzutage gesagt wird, man müsse die Rechtsstaatlichkeit abbauen, die Rechte der Angeklagten beschneiden, und so weiter. Das ist ein gefährlicher Weg. Wir müssen die Rechtsstaatlichkeit im Strafverfahren eher ausbauen, ihr zumindest Sorge tragen, und sicher nicht abbauen. Die Unschuldsvermutung darf nicht in Frage gestellt werden, das Recht auf Verteidigung darf nicht in Frage gestellt werden. Denn genau das braucht es in einem rechtsstaatlich korrekten Verfahren. Und deshalb zeichnet die Anna-Göldi-Stiftung alle zwei Jahre Persönlichkeiten aus, die sich in der heutigen Zeit für Gerechtigkeit und gegen Behördenwillkür einsetzen.

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