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Gesellschaft & Religion «Iqrit gehört zu unserer Identität»

Das einst belebte Dorf Iqrit im Norden Israels besteht heute nur noch aus einer Kirche und einem Friedhof. Enkel der vertriebenen Christen pilgern dorthin und glauben daran, eines Tages nach Iqrit zurückzukehren zu können. Ein Gespräch über Identität und die Hoffnung auf Rückkehr.

Sie sind eine palästinensische Christin mit einem israelischen Pass. Wie erklären Sie einer fremden Person Ihre Identität?

Wenn ich meine Herkunft jemandem im Ausland erklären muss, dann sage ich: Ich bin Christin und Araberin zugleich. Ich spreche Arabisch und lebe in Israel.

Wenn jüdische Israeli nach Ihrer Herkunft fragen, was antworten Sie dann?

Ich sage immer, dass ich palästinensische Araberin bin. Ich sage nie, dass ich Christin bin. Denn ich will nicht zwischen Araber, Christen und Druzen unterscheiden – wie das jüdische Israeli oft tun. Denn im Wort Araber schwingt in Israel häufig etwas Negatives mit.

Wafa Toame

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Die palästinensische Christin mit israelischem Pass ist ein aktives Mitglied der griechisch- katholischen Gemeinde in Iqrit. Zusammen mit ihrem Mann, der aus dem Dorf stammt, und ihren beiden Söhnen geht Wafa Toame regelmässig in die Kirche und hilft tatkräftig bei den Aktivitäten der Gemeinde mit. Wafa Toame ist 47 Jahre alt und lebt in Haifa.

Können Sie das erklären?

Oft wird das Wort Araber dem Wort Muslim gleichgesetzt. Und damit einher gehen negative Assoziationen wie Attentate oder die Probleme etwa in Jerusalem. Von christlichen Araber hingegen herrscht in Israel ein anderes Bild: Du bist nett, machst keine Probleme und hast niemanden getötet. Diese Unterscheidung will ich nicht machen.

In Israel leben rund 160'000 Christen. Sie sind eine Minderheit in der Minderheit. Wirkt sich das auf Ihren Alltag aus?

Nein. Ich lasse mich nicht auf meinen christlichen Glauben reduzieren. Ich gehe meinen eigenen Weg und dafür nutze ich meine Persönlichkeit, meine Ausbildung und meinen Willen. Ich habe in einer jüdischen Firma einen hohen Posten inne.

Sie wie auch Ihre Söhne sind aktive Mitglieder der christlichen Gemeinde des Dorfes Iqrit. 1948 mussten die Bewohner das Dorf im Norden Israels verlassen. Einzig die Kirche und der Friedhof sind geblieben. Wieso spielt das heute verlassene Dorf in Ihrem Leben eine solch wichtige Rolle?

Iqrit gehört zu unserer Identität. Iqrit gehört zu unserer Geschichte. Regelmässig fahren wir zum Gottesdienst nach Iqrit oder nehmen auch an den anderen Aktivitäten der Gemeinde statt. Die ehemaligen Bewohner leben heute in ganz Israel verteilt. Unser Schicksal und unsere Religion verbinden uns. Wir glauben daran, dass wir eines Tages nach Iqrit zurückkehren werden.

Gemäss Gesetz dürfen sie nur tagsüber in Iqrit verweilen. Eine Gruppe junger Menschen widersetzt sich dem und übernachtet in der Kirche, dazu gehören auch Ihre Söhne. Wieso engagieren sie sich so stark für das Herkunftsdorf ihrer Grosseltern?

Meine Söhne sind stolz darauf, dass sie aus Iqrit stammen. Iqrit hat in unserer Familie immer eine wichtige Rolle gespielt. Meine Kinder sind mit den Erzählungen der Grosseltern gross geworden. Seit klein auf sind sie mit für die Gottesdienste nach Iqrit gefahren. Sie glauben daran, dass wir nach Iqrit zurückkehren werden. Einer meiner Söhne reiste kürzlich nach Amerika, um dort die Menschen auf die Geschichte von Iqrit aufmerksam zu machen.

Erhalten sie die gewünschte Aufmerksamkeit?

Wir Christen sind oft verzweifelt, weil unsere Stimme kaum erhört wird. Viele westliche Touristen bereisen Israel. Zwar besuchen sie die christlichen Stätten, aber über die Situation der Christen vor Ort wissen sie wenig. Ich würde mir wünschen, sie würden sich für die Sache ihrer Glaubensschwestern und Glaubensbrüder engagieren. Denn wir sind auf die Unterstützung aus dem Ausland angewiesen. Nur so wird das Christentum in diesem Land weiter bestehen.

Wie sehen Sie die Zukunft der Christen in Israel?

Unsere Zukunft hängt von der Erziehung ab, die uns lehrt, dass Christen Teil dieses Landes sind. Hier wurde Jesu Christus geboren. Hier hat er gelebt. Christen waren stets in dieser Weltregion präsent und sollen dies auch in Zukunft sein.

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