«Wenn der sexuelle Akt ein Punkt ist, ist der Kuss ein Komma. Eine Atempause im Satz», sagt der französische Philosoph Alexandre Lacroix. Nur, es lässt sich nicht beantworten, wie lange diese Atempause dauern soll. Der Kuss kann aufhören und sogleich wieder einsetzen. Der Kuss um seiner selbst und der Liebe willen kennt keine Zeit. Anders die kurzen, nutzenorientierten Küsse. Am Morgen zum Abschied und am Abend nach dem Arbeitstag: Diese flüchtigen Schnellküsse gleichen mehr dem Entwerten eines Fahrscheins, findet Lacroix.
Der Kuss als Barometer für den Zustand des Paares
Um eine Liebe, in der nicht mehr geküsst wird, steht es schlecht. Lacroix weiss das aus eigener Erfahrung. Denn seine Ehefrau mahnte seine nachlassende Kussfreudigkeit an. Und Lacroix ging in sich. Und versteht: Wenn dieses Ritual der Intimität schwindet, entgeht dem Paar eine ganz wichtige Zärtlichkeitsbezeugung. Übrigens: In Paarbeziehungen überlebt der Sexualakt länger als der Kuss.
Filmküsse à la Hollywood
In «Vom Winde verweht» küsste 1939 Clark Gable Vivien Leigh. Zuerst will sie nicht, doch es gibt kein Entrinnen, sie schmilzt in seinen Armen dahin. Nur ein Beispiel aus der Serie von berühmten Filmküssen, die Lacroix erwähnt. Heute stehe der Kuss nicht mehr im Mittelpunkt, schreibt er, da die Pornographie im weitesten Sinn dem Kuss den Garaus gemacht hätte.
Wenn die Liebkosungen der Münder aus unserem Sinn schwinden, dann entgeht uns ein zivilisierendes Moment in rauen Zeiten. Und, so konstatiert der Autor: Männer denken heutzutage eher: «Ich hätte Lust sie flachzulegen» und eben nicht: «Ich möchte sie küssen».
Schätzungen zum Küssen
Die Hollywoodküsse brachten den Kuss in Regionen, die bis dahin vom Küssen keine Ahnung hatten, wie etwa nach Asien. Ob es gefruchtet hat? Angeblich darf die japanische Ehefrau auf einen halben Kuss pro Tag hoffen, bei koreanischen Paaren kommt man nur auf ein Viertelküsschen, in China sind es doch stolze zweieinhalb und die Nase vorn haben die Franzosen mit täglich sieben Küssen.