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Gesellschaft & Religion Wiener Philharmoniker verwandeln Gasthaus in Flüchtlingsheim

Die Wiener Philharmoniker finanzieren ein Flüchtlingsheim in der österreichischen Provinz. Sie wollen damit ein Zeichen der Menschlichkeit setzen. Das gefällt nicht allen.

September 2015: Zehntausende Flüchtlinge aus Syrien, Afghanistan, Somalia und anderen Krisenregionen der Welt stranden am Wiener Westbahnhof und anderen neuralgischen Orten der Stadt.

Freiwillige helfen, so gut sie können: Sie bringen Decken, Nahrung, Medikamente zu den Brennpunkten einer Flüchtlingsbewegung, wie sie Europa seit den katastrophalen Flüchtlingstrecks des Jahres 1945 nicht mehr gesehen hat. Das Elend der Exilanten lässt auch die Wiener Philharmoniker nicht kalt.

«Etwas Nachhaltigeres machen»

Österreichs Renommierorchester organisiert ein Benefizkonzert im Wiener Konzerthaus. Der Erlös – 100'000 Euro – soll den notleidenden Menschen zugute kommen, die in Österreich Zuflucht vor Krieg und Elend suchen. Doch damit nicht genug. «Wir wollten noch etwas Nachhaltigeres machen», erinnert sich der Violinist Andreas Grossbauer, Vorstand der Philharmoniker. Und so entstand die Idee, ein «Wiener-Philharmoniker-Haus für Asylsuchende» zu finanzieren.

250'000 Euro hat das Orchester gesammelt

Ein geeignetes Objekt war rasch gefunden: ein ehemaliges Gasthaus in der 2000-Einwohner-Gemeinde Sankt Aegyd am Neuwalde, etwa 100 Kilometer südwestlich von Wien gelegen. Durch Crowdfunding und diverse Benefizaktionen brachte das 1842 gegründete Traditionsorchester insgesamt 250'000 Euro auf. Ein sozialarbeiterisch kompetenter Partner war auch bald zur Stelle: die Evangelische Diakonie.

«Es war uns wichtig, das Projekt professionell durchzuziehen», betont Orchestvorstand Andreas Grossbauer. «Wobei wir auch auf fundierte Vorbereitung grossen Wert gelegt haben. Wir haben zum Beispiel im Vorfeld einen Soziologen nach Sankt Aegyd geschickt, der mit den Menschen vor Ort über ihre Sorgen und Ängste gesprochen hat. Seine Forschungsergebnisse sind in die öffentlichen Bürgergespräche mit eingeflossen, die wir vor der Eröffnung des Asylwerberhauses abgehalten haben.»

Eine Gruppe Menschen steht vor einem Haus.
Legende: Freude herrscht in Niederösterreich – das Asylwerberhaus ist Anfang Juni eröffnet worden. Terry Linke/Wiener Philharmoniker

16 Flüchtlinge und eine Blaskapelle

Am 5. Juni 2016 war es so weit: Das Flüchtlingsheim im südlichen Niederösterreich wurde feierlich eröffnet, in Anwesenheit des Herrn Bürgermeisters und des Dorfpolizisten sowie unter Mitwirkung der Sankt Aegydner Blasmusikkapelle. 16 Flüchtlinge können im Philharmonik-ereigenen Flüchtlingsheim betreut werden. Derzeit sind eine afghanische und eine tschetschenische Familie im Haus untergebracht.

«Das Echo in der Bevölkerung ist durchaus geteilt», erklärt der Philharmoniker-Klarinettist Norbert Täubl, der selbst aus Sankt Aegyd am Neuwalde stammt. «Zum einen gibt es grosse Hilfsbereitschaft, die Menschen bringen Sachen vorbei und bieten Unterricht für die Kinder an, zum anderen gibt’s natürlich auch Leute, denen das Projekt nicht gefällt.»

Sozialdemokraten und Rechtspopulisten

Die Risse und Gegensätze innerhalb der Bevölkerung bilden sich auch in den Sankt Aegyder Wahlergebnissen der jüngsten Zeit ab. Im Gemeinderat verfügen die Sozialdemokraten über eine satte Mehrheit, bei den jüngsten Bundespräsidentschaftswahlen dagegen errang der rechtspopulistische Kandidat Norbert Hofer im Ort 58 Prozent der Stimmen.

Es geht nicht um Politik, sondern um Menschlichtkeit

Die Philharmoniker wollen ausländerfeindliche Ressentiments in der Bevölkerung durch künftiges Engagement nach Möglichkeit zerstreuen. «Es ist ja nicht damit getan, dass man ein Asylwerberhaus in die Landschaft stellt und sich dann nicht mehr darum kümmert», weiss Andreas Grossbauer.

«Wir werden das Projekt natürlich auch in Zukunft nach Kräften fördern und begleiten: zum Beispiel durch Musik-Workshops, die wir zusammen mit den Flüchtlingen und der örtlichen Blasmusikkapelle im Asylwerberhaus veranstalten werden. Und durch jede Menge andere Aktivitäten.»

Dass sich die Wiener Philharmoniker durch ihr Engagement politisch angreifbar machen, glaubt Andreas Grossbauer nicht: «Es geht uns nicht um Politik. Wir wollen einfach nur ein Zeichen der Menschlichkeit setzen.»

Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Kultur kompakt, 28.6.2016, 6.50 Uhr

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