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Literatur «Ältere Frauen sollen sich nicht für Sex interessieren»

Mit ihrem internationalen Bestseller «Angst vorm Fliegen» sorgte Erica Jong in den 1970er-Jahren für rote Köpfe. Es ging um die sexuelle Freizügigkeit von Frauen. Mit «Angst vorm Sterben» bricht die Amerikanerin mit einem der letzten Tabus unserer Gesellschaft: die Lust älterer Frauen.

  • Erica Jong gehört zu den ersten Schriftstellerinnen, die sich literarisch mit dem Thema «Sex im Alter» auseinandersetzen.
  • In «Angst vorm Sterben» taucht eine Frauenfigur wieder auf, mit der Erica Jong bereits in den 1970er-Jahren für Aufruhr sorgte – eine, die nach Sex ohne Liebe sucht.
  • Die Autorin fordert, Sexualität anzunehmen und dieser damit die Peinlichkeiten zu nehmen.

Vanessa Wonderman, die 60-jährige Heldin im neuen Roman von Erica Jong, hat eigentlich nichts zu klagen: Sie blickt auf eine ziemlich erfolgreiche Karriere als Schauspielerin zurück, ihre Ehe zu einem viel älteren Mann verläuft sehr harmonisch und auch mit der schwangeren Tochter fühlt sie sich verbunden. Nur eines fehlt ihr im Leben: eine lustvolle Sexualität. Denn in ihrem Ehebett herrscht meistens Funkstille, erst recht, seit ihr Mann Asher krank ist. So stellt sie kurzerhand eine Kontaktanzeige ins Internet: «Frau, glücklich verheiratet, mit überschüssiger erotischer Energie, sucht glücklich verheirateten Mann zum Teilen derselben.»

Doch der Märchenprinz meldet sich nicht – stattdessen eher gestörte Typen. Vanessa merkt, dass dieser Weg nicht zum alten Prickeln zurück führt und sucht Rat bei ihrer Freundin, der in Liebesdingen erfahrenen Isadora Wing. Diese ist vielen Leserinnen und Lesern keine Unbekannte: Sie war die Romanheldin in «Angst vorm Fliegen», die damals, in den 1970er-Jahren, herausfinden wollte, ob auch Frauen Gefallen finden können am sogenannten «Spontanfick» – d.h. an Sex ohne Liebe.

Mittlerweile wirkt Isadora erstaunlich gelassen und macht Vanessa klar, dass sie sich von gängigen Sex-Vorstellungen lösen müsse: «Ach, das alte Rein-Raus-Spiel, wie Anthony Burgess das genannt hat, total überbewertet!» Tatsächlich entdeckt Vanessa mit Asher neue Formen der lustvollen Nähe. Einmal mehr nimmt Erica Jong in den Schilderungen der sexuellen Leidenschaft kein Blatt vor den Mund und gehört damit zu den ersten Schriftstellerinnen, die sich literarisch mit dem Thema «Sex im Alter» auseinandersetzen.

Ein Gespräch mit der Autorin über die Lust im Alter und Parallelen zur eigenen Biografie.

Erica Jong, was war Ihre Motivation, über Sexualität im Alter zu schreiben?

Nach wie vor gibt es ein ungeschriebenes Gesetz: Wir älteren Frauen haben nicht attraktiv zu sein. Es ziemt sich auch nicht, sich für Sex, für Männer und für Liebhaber zu interessieren – und doch tun wir es. Wenn ich also eine ehrliche Chronistin des Alltags von Frauen sein will, muss ich die ganze Wahrheit sagen.

Auf was führen Sie es zurück, dass in unserer Gesellschaft den älteren Frauen die Freude an Sexualität abgesprochen wird?

Schuld daran ist die Angst vor der Mutter. Wir sind derart von ihr abhängig, dass wir sie uns nicht als aktive, lustvolle Frau vorstellen wollen. Sie hat statisch zu bleiben, sie darf sich nicht verändern. Sie soll uns Kindern ihre ganze Aufmerksamkeit schenken – und nicht dem Leben da draussen.

Vanessa Wonderman, die 60-jährige Heldin in Ihrem neuen Roman, wagt die Flucht nach vorne: Sie fahndet im Internet nach einem Liebhaber. Ist Ihnen diese virtuelle Kontaktsuche vertraut?

Nein, persönlich habe ich mich nie bei einer Dating-Plattform angemeldet. Aber in meinem Umfeld gibt es etliche Frauen, die mir von solchen Erfahrungen erzählt haben.

Mir gefiel die Idee, den Roman mit einem Sex-Inserat zu beginnen: Es würden sich – so stellte ich es mir vor – dann mehrheitlich Wahnsinnige und Fetischisten bei Vanessa melden. Das entbehrt nicht an Witz und Komik.

Ist Humor für Sie auch eine Möglichkeit, ein doch eher ernstes Thema etwas leichter verdaulich zu machen?

Nun, Humor kann nur dann in einen Roman eingebracht werden, wenn er zur eigenen Persönlichkeit gehört. Es ist die Art und Weise, wie ich die Welt wahrnehme. Humor findet man in all meinen Büchern. Ich sehe ihn als Instrument, um die Verlogenheit in einer Gesellschaft blosszustellen.

Frauen blenden das Thema «Sex im Alter» in ihren Büchern meist aus – im Gegensatz zu Männern. Fehlt den Schriftstellerinnen der Mut dazu oder glauben diese, das Thema trage nicht?

Sie glauben, dass niemand etwas darüber lesen will.

Ihre Hauptfigur Vanessa sieht überall alleinstehende Frauen, die «ziellos umherirrten und nach irgendeinem Ort suchten, an dem sie ihre ganze überschüssige erotische Energie loswerden konnten». Ist das Ihre persönliche Beobachtung?

Ja, das ist sie. Vielleicht ist das auch der Grund, warum so viele Frauen über sechzig in die Politik einsteigen: Politik ist ein grossartiger Ort, um seine sexuelle Energie einzubringen.

Ist das Ihrer Meinung nach der Grund, warum Hillary Clinton jetzt nochmals das Rennen ins Weisse Haus aufgenommen hat?

Nun, Hillary – so glaube ich – will wirklich die Welt verbessern, das zeigt sich auch an ihrer persönlichen Geschichte.

Wie können wir – von jung bis alt – ein befriedigenderes Leben leben?

Indem wir die Furchtlosigkeit wiederentdecken. Immer und immer wieder. Wenn man seinen Körper akzeptiert, hat auch Sexualität nichts Peinliches. Vor allem: Wir Frauen dürfen nicht zulassen, dass die männliche Sorge um ihren Penis alles Sinnliche verunmöglicht. Wir konzentrieren uns allzu stark auf das männliche Glied. Der einzige Weg zu gutem Sex besteht darin, von dieser Fokussierung wegzukommen.

Wir haben in unserer Gesellschaft einen viel zu engen Blick auf die Sexualität. Sie ist nicht einfach nur Verkehr: Sie ist Berührung, Beziehung und noch viel, viel mehr.

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