Spirou, das ist die ewig jugendliche Comic-Figur im roten Kostüm eines Hotelpagen. Neben Tim, Asterix und Lucky Luke ist er eine Ikone des frankobelgischen Comics. Zusammen mit seinem Freund Fantasio ist er der Held von mittlerweile über 90 munteren Abenteuern.
Ganz anders als diese früheren Bände von «Spirou und Fantasio» ist Émile Bravos «Spirou oder: die Hoffnung»: Es ist eine eher düstere Coming-Of-Age-Story, die auf vier Bände angelegt ist. Sie spielt in Spirous Jugend, während der deutschen Besatzung Belgiens im zweiten Weltkrieg.
Das kommt an: In Frankreich feiern Presse und Publikum den neuen Comic. Die zwei bisher erschienenen Bände wurden vielfach ausgezeichnet und hunderttausendfach verkauft.
Vom Hotelpagen zum Abenteurer
In «Spirou oder: die Hoffnung» beschäftigt sich Émile Bravo mit den Anfängen der Figur. Der Zeichner Rob-Vel hat Spirou 1938 erfunden, ab 1947 machte André Franquin den Hotelpagen zum Superstar.
Bravo schildert nun, wie Spirou durch seine Erfahrungen während des Kriegs reift: vom naiven Hotelpagen zum selbstlosen, humanistischen Abenteurer, als der Spirou unter Franquins Feder berühmt werden sollte.
Pagenmütze, Puppenspiel, Propaganda
Nach Kriegsbeginn arbeitet Spirou als Page im Hotel Moustique, er wird ausgenutzt und oft verprügelt. Daneben kümmert er sich um die Kinder in seinem Viertel und nimmt aus Grosszügigkeit den arbeits- und obdachlosen Fantasio, einen Reporter, in seinem Dachzimmer auf.
Als eine Bombe das Hotel Moustique zerstört, müssen Spirou und Fantasio ein neues Auskommen finden. Fortan ziehen sie mit einem Puppentheater von Dorf zu Dorf und erfreuen die Kinder mit einem munteren Stück, das den Kriegsalltag mit seinen Entbehrungen auf witzige Weise reflektiert. Was Spirou und Fantasio nicht ahnen: Ihre Aufführungen sind Treffpunkte der Widerstandsbewegung.
Gleichzeitig sorgt er sich um Kassandra, die jüdische Kommunistin, in die er sich im Jahr zuvor unsterblich verliebt hat. Mit Hilfe eines nach Brüssel geflohenen jüdischen Künstlerpaars aus Deutschland will Spirou mehr über ihr Schicksal herausfinden. Doch noch versteht niemand, was Begriffe wie Getto und Lager wirklich bedeuten.
Alltag im Krieg
Bravo zeichnet Spirou so, als hätte es ihn wirklich gegeben. Er erlebt, was seine Landleute und Zeitgenossen auch hätten erleben können. Ohne zu beschönigen erzählt Bravo von Hunger und Angst, von Lebensmittelmarken und Schwarzmarkt, von Opportunismus und Kollaboration, von Judenstern, Razzien und britischen Bomben.
Bravos episodische Erzählweise mit vielen Nebenfiguren und Schauplätzen entfaltet ein enorm vielschichtiges, realistisches und kritisches Bild Belgiens unter deutscher Besatzung.
Spirou der Antiheld
Spirou ist zwar herzensgut, aber naiv und von den Ereignissen völlig überfordert. Nie käme es ihm in den Sinn, aktiv Widerstand zu leisten. Er ist ein Antiheld, der nur im Kleinen funktioniert und sich mit der ihm eigenen Gutherzigkeit bemüht, für seine Freunde und sich das Beste aus verfahrenen Alltagssituationen zu machen.
Erst nach und nach dämmert ihm, dass seine Situation Folge der politischen Grosswetterlage ist und dass das Private vom Politischen nicht zu trennen ist.
«Spirou oder: die Hoffnung» ist ein Meisterwerk. Wie Bravo eine eher biedere Figur neu erfindet und ihr eine ungeahnte Tiefe verleiht, ist beeindruckend. Noch beeindruckender ist, wie er mit Spirou eine so komplexe und wichtige Geschichte erzählt - auf eine so verständliche Weise.
Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Kontext, 20.2.2020, 09:03 Uhr.