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Literatur Der Grausamkeit des Krieges nicht gewachsen

Erst wendet sich der Kriegsfotograf von seinem Beruf ab, dann versinkt er im Weltschmerz. Auf Lampedusa findet er eine neue Aufgabe. Sabine Gruber wählt für ihren neuen Roman «Daldossi oder Das Leben des Augenblicks» ein Thema mit Potenzial – und schöpft es nicht aus.

Das Setting wäre vielversprechend: Ein erschöpfter Kriegsfotograf wendet sich von seinem Beruf ab. Der 60-jährige Bruno Daldossi hat die Krisengebiete der Welt gesehen und nicht selten sein Leben aufs Spiel gesetzt. Er war Fotoreporter, dokumentierte mit seinen Bildern die Grausamkeiten der Kriege und trug das Schicksal der betroffenen Menschen in die Welt hinaus. Doch nun ist er müde. Statt gefährliche Missionen zu erfüllen, möchte er in Wien sesshaft werden. Und sich seiner Lebenspartnerin Marlis widmen.

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Sabine Gruber: «Daldossi oder Das Leben des Augenblicks». C.H. Beck Verlag, 2016.

Doch diese hat genug von ihrem Kriegsfotografen. Nach 15 Jahren will sie sich nicht mehr ständig um ihren Partner ängstigen müssen. Sie will auch nicht mehr hinter Bruno zurückstehen.

Denn Bruno ist einer, der Schreckliches gesehen hat, einer der «Wichtigen». Was ist da schon das Leben einer Zoologin, wie es Marlis ist, die sich um verhaltensgestörte Braunbären in den Wäldern von Österreich kümmert? Was ist schon Tierschutz, wenn es um Menschenschutz gehen könnte?

Voyeur der Gewalt

Die Einsicht, dass auch Marlis mit ihrer Arbeit und ihrer Lebenseinstellung etwas bewegen könnte, kommt Bruno zu spät. Marlis ist weg. Sie hat ihn verlassen.

Sabine Gruber lässt nun Bruno sein Leben als Kriegsfotograf reflektieren. Die Fragen, die die Autorin stellt, sind vielversprechend: Wird ein Kriegsfotograf durch seine Arbeit beziehungsunfähig? Wie weit darf man als Kriegsfotograf gehen? Was können Kriegsaufnahmen bewirken? Machen sie einem nicht zum Voyeur von Gewalt und befördern diese?

Fragen, auf die die Autorin keine Antworten gibt. Was man erfährt, geht nicht über die herkömmliche Kritik hinaus. Enttäuschender als die fehlende Auseinandersetzung mit der Thematik ist jedoch die klischierte Figurenzeichnung.

Ein Standby-Leben? Nein danke.

Ihr Kriegsfotograf ist ein interessanter, attraktiver Mann, der das Aussergewöhnliche liebt. Er ist nicht dafür gemacht, in der Stube zu sitzen und mit seiner Frau Kaffee zu trinken. Nein, er ist ein einsamer Jäger, der den Adrenalinschub sucht und atemberaubende Bilder unter schwierigsten Umständen schiesst.

Auf Standby leben? Das kann er nicht. Er würde das Gefühl haben, dass das Leben an ihm vorbeizieht. Und ganz wie es sich für starke Männer gehört, säuft und vögelt er seinen Weltschmerz weg, weil er eine vom Krieg versehrte Seele ist.

Bruno wäre lieber im Kugelhagel umgekommen als von seiner Marlis verlassen zu werden. Ganz nach dem Motto: Lieber ein toter Held, als ein trauriger Verlierer.

Solide und doch mager

Doch etwas muss man der Figurenzeichnung zu Gute halten. Bruno pflegt zwar weiterhin einen exzessiven Lebensstil, doch etwas ändert sich: Statt nur passiv zu fotografieren, beginnt er aktiv in das Geschehen einzugreifen.

Und das ausgerechnet auf Lampedusa, einem Brennpunkt der aktuellen Flüchtlingskrise. Wieder eine überraschende Idee, an der die Autorin scheitert. Denn die Flüchtlingsproblematik wirkt wie ein forcierter Aktualitätsbezug.

«Daldossi oder Das Leben des Augenblicks» ist solide recherchiert und faktenreich geschrieben. Sabine Gruber liefert zwar einen Einblick in die Themen und Probleme der Kriegsfotografie, aber leider keinen vertieften.

Sendung: SRF 1, Literaturclub, 15.11.16, 22:25 Uhr

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