Er war ein unangepasster Jugendlicher. Benjamin Lebert brach Schulen ab, verweigerte sich den Autoritäten und stand – körperlich leicht behindert – immer etwas im Abseits. Mit 17 schrieb der Deutsche darüber seinen ersten Roman.
«Crazy» machte ihn über Nacht berühmt. Die Medien feierten das neue «literarische Wunderkind», und Lebert verdankt diesem Erfolg seine Bestimmung: Er wurde Schriftsteller. Das war 1999. Seither sind sieben weitere Romane entstanden.
Leere Versprechen, unmenschliche Zustände
Als er Anfang 2015 nach Nepal reiste, um dort einen Einsatz in einem Kinderheim zu leisten, dachte er aber nicht an Literatur. Er wollte etwas Gutes tun und meldete sich zur Freiwilligenarbeit. In diesem Recovery Home in Kathmandu finden Kinder und Jugendliche Unterschlupf, deren Eltern sie an Menschenhändler verkauft hatten.
In abgelegenen Dörfern Nepals werden regelmässig Familien aufgesucht und mit falschen Versprechungen geködert. Den Jungen werden Jobs und Ausbildung in der Hauptstadt versprochen, später landen sie als Zwangsarbeiter in Fabriken, Privathaushalten oder in der Prostitution. Wenn sie Glück haben, können sie abhauen oder werden befreit. Und atmen dann in einem Kinderheim durch.
Stumme Verständigung
Lebert spielte täglich mit diesen Jugendlichen und musste versuchen, sie auch ohne Sprachkenntnisse zu verstehen. Was ihn beeindruckte, war ihre Fähigkeit, in der Gegenwart zu leben: «Es gibt keine Lebensentwürfe, die diese Jugendlichen in sich tragen, so wie wir es in unseren Gefilden kennen. Sie wissen nicht, ob sie morgen noch da sind, sie agieren mit dem Jetzt, und das tun sie mit bewundernswerter Tapferkeit.»
Ein Lebenszeichen nach dem Erdbeben
Kaum war Lebert nach seinem Freiwilligeneinsatz wieder in Europa, wurde Nepal von einem der schlimmsten Erdbeben seiner Geschichte heimgesucht. Er konnte in Erfahrung bringen, dass die Kinder und Jugendlichen im Recovery Home verschont geblieben waren.
«Ich habe pausenlos ihre Stimmen in mir gehört. Sie haben mich nicht mehr losgelassen.» Deshalb beschloss Benjamin Lebert, diesen tapferen Buben und Mädchen ein literarisches Denkmal zu setzen.
Glück beginnt, wo Worte fehlen
In seinem Roman «Die Dunkelheit zwischen den Sternen» lässt Benjamin Lebert drei Jugendliche – Achanda, Shakti und Tarun – abwechselnd von ihren Erfahrungen, Sehnsüchten und Begegnungen erzählen. Damit verleiht er der Geschichte Tempo und Unmittelbarkeit. Man staunt, wie glaubwürdig sich Lebert in diese kindlichen Perspektiven einfühlen konnte.
Fehlende Sprache, intensive Beziehung
In einfachen Sätzen gelingen ihm vielschichtige Porträts, die trotz des düsteren Schicksals von grosser Leichtigkeit und kindlichen Zuversicht geprägt sind. Die Figuren sind erfunden, entstanden aus gebündelten Wahrnehmungen und Beobachtungen im Heim.
Vielleicht habe gerade die fehlende Sprache, die gegenseitige Beziehung noch intensiviert, meint Lebert rückblickend: «Ich musste stets versuchen, in ihren Koordinaten zu denken.» Und nachdenklich fügt er an: «Ich glaube sowieso, dass das Glück und das Unglück vielleicht dort beginnt, wo wir keine Worte mehr zur Verfügung haben.»
Sendung: Radio SRF 1, Buchzeichen, 02.04.2017, 14.06 Uhr