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Neue Generation Dieser Jazzer kennt keine Denkverbote

Der deutsche Pianist Michael Wollny gehört zu einem neuen Typus Jazzmusiker: Er würde sich nie einem bestimmten Stil zuordnen, sondern verfügt über das ganze Spektrum – von Stride Piano bis Freejazz, und weit darüber hinaus.

Wie geht freies Improvisieren? Ist es frei, wenn es quietscht und rumpelt, blökt und kreischt? Wenn das Gehörte nichts mehr mit dem zu tun hat, was wir normalerweise mit Musik assoziieren, wenn das Klavier nur noch mit den Ellbogen, der Bass mit den Fäusten und das Schlagzeug mit Prügeln bearbeitet wird?

Klänge mit schlechtem Ruf

Freejazz ist die Musik, die den denkbar schlechtesten Ruf hat. Dennoch behauptet Alexander von Schlippenbach, bald 80-jähriges Urgestein des europäischen Freejazz, es habe nie so viel freie Musik gegeben wie heute. Wie Recht Schlippenbach hat. Sie klingt einfach nicht mehr so, wie man sich das vorstellt. Das beste Beispiel dafür ist Michael Wollny.

Ein Porträt von Michael Wollny.
Legende: Wollnys Markenzeichen: das Unberechenbare, die Suche nach dem bisher Ungehörten, der Mut, sich dem Moment hinzugeben. imago/Future Image

Der Idealzustand

«Einfach nur mit den Ohren bei den anderen zu sein und das eigene Spielen eher wie nebenbei passieren zu lassen – für mich ist das eigentlich ein Idealzustand», sagt der deutsche Pianist Michael Wollny.

Er gibt einem so eine Ahnung, worum es bei seiner Improvisation geht: voraussetzungslos Musik machen, immer nur das spielen, was er hört und was die Musik in diesem Augenblick braucht. Michael Wollny und sein Trio nehmen die Zuhörer an der Hand und führen sie in die Zauberwelt der Improvisation.

Spätgeborener Romantiker

Michael Wollny, der 38-jährige Pianist aus dem oberfränkischen Schweinfurt, ist das perfekte Gegenteil eines Hardcore Freejazzers – auch vom Aussehen her.

Jungenhaftes Gesicht, lange Haare: Ihm würde der Frack und die Halsschleife eines Franz Schubert gut stehen! Oft klingt seine Musik auch wie aus der Zeit gefallen, denn Wollny ist so etwas wie ein spätgeborener Romantiker.

Die klingende Oberfläche allerdings täuscht. Die schönen Melodien, die einfachen Akkorde, die Stücke, die wie Lieder daherkommen, sind nur ein Teil seiner Musik.

Michael Wollny beherrscht die ganze Palette von Ausdrucksmöglichkeiten auf 88 Tasten und den dazugehörigen Saiten. Alles ist in jedem Augenblick möglich, nichts ist verboten.

Auf der Stuhlkante

Genau das unterscheidet ihn (und andere junge Spieler) von vielen seiner Avantgarde-Kollegen aus den 1960er-Jahren. Michael Wollny kennt keine musikalischen Denkverbote: Die Zeiten, in denen ein Dur-Dreiklang oder eine singbare Melodie in der Freejazz-Gemeinde ein Sakrileg darstellte, sind bei ihm definitiv vorüber. Das macht seine Musik so spannend.

Oft sitzt die Hörerin, der Zuschauer buchstäblich auf der Stuhlkante, um sich festhalten zu können, wenn wieder etwas passiert, das alle Hörerwartungen komplett durcheinander wirft.

Erwartungen verfehlt

Michael Wollny könnte seine Musik natürlich nicht so spielen, hätte er nicht Spielpartner, die jede noch so scharfe Kurve elegant mitfahren. Die, im Gegenteil, selber für Hindernisse und Abenteuer sorgen.

Der Zürcher Bassist Christian Weber ist so ein unerschrockener Musiker und auch sein Kollege am Schlagzeug, Eric Schaefer. Die beiden sind kongeniale Komplizen ihres Chefs.

Konzerte des Michael Wollny Trios sind für uns Zuhörende ein Abenteuer. Denn er und seine Musiker erfüllen keine Erwartungen, dafür schenken sie uns Musik – und was für welche!

Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Passage, 18.11.2016, 20:00 Uhr.

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