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Musik «Galgaboda» - Die Hexe und ihr Richter

Im Bündner Averstal liegt eine hübsche Wiese namens «Galgaboda». Ein Gedenkstein erinnert daran, dass auf diesem Galgenboden zahlreiche Hexen und ein Hexenmeister hingerichtet wurden. Das Künstlerpaar Claudia Carigiet und Jürg Kienberger verwebt einen dieser Prozesse mit seiner eigenen Geschichte.

Die Schauspielerin und Regisseurin Claudia Carigiet und der Musiker Jürg Kienberger sind seit 30 Jahren ein Paar. Sie haben schon viele Projekte gemeinsam realisiert. Aber der Auftrag der Bühne «Hexperimente» im Averstal für ein Musiktheater zu den letzten Bündner Hexen hat sie auch persönlich betroffen. Beide kommen aus Graubünden, sie aus Disentis, er aus Sils-Maria. Ihr Kanton hat neben der Waadt am meisten Hexen überhaupt in der Schweiz hingerichtet.

Hexen im Avers

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Legende: hexperimente.ch

Mitte des 17. Jahrhunderts wurden im Averstal 13 Hexen und ein Hexenmeister hingerichtet. Die Kulturbühne «Hexperimente» widmet sich immer wieder diesem Thema auf der Grundlage der Protokolle der Hexenprozesse.

Claudia Carigiet ist davon überzeugt, dass auch sie damals als Hexe gefoltert, geköpft und verbrannt worden wäre. Jürg Kienberger zählt gleich die Eigenschaften seiner Frau auf, die sie der Hexerei verdächtig gemacht hätten: Sie interessiert sich für Kräuter und ihre Wirkung (Brennnessel gegen Depression, Johanniskrautöl gegen alles), liest aus Handflächen, schwingt das Pendel, tanzt leidenschaftlich gern (Tango) und geniesst überhaupt das Leben, was damals schlicht untersagt war.

Foltergeräusche auf dem Estrich?

Carigiet und Kienberger haben den «Galgaboda» besucht und länger auf der Talseite vis-à-vis im alten Walserhof «Bim nüwa Hus» gewohnt. Dort betreiben die Kulturjournalistinnen Ina Boesch und Corinne Holtz ihre Bühne «Hexperimente». Die Beiden haben schon viele Kulturschaffende mit der Aufarbeitung der Averser Hexenprotokolle beauftragt.

Carigiet-Kienberger haben ihre Version «Galgaboda» vor drei Jahren in der kleinen Stube des Hauses uraufgeführt. Platz hatten gerade mal 30 Zuschauer. Carigiet als Hexe Trina Bärschi auf einem Stuhl in der Mitte, Kienberger als Richter mit dumpfen Schritten auf dem knarrenden Boden oder als Musiker mit Tischorgel hinter dem Kachelofen. Vom Estrich oben tönte es unheimlich herunter – Folter?

Vieles davon ist in die Radiofassung für SRF 2 Kultur mit eingeflossen, einiges hat der Tonmeister Alex Buess im Basler Hörspielstudio nachproduziert. Jedenfalls klingt das Resultat sehr authentisch, und es gibt einige Überraschungen, zum Beispiel Jürg Kienberger als unerbittlicher Richter und alter Glüstler.

Die Musik - mal tröstlich, mal unheimlich

Claudia Carigiet war schockiert über den Kasernenhofton ihres Mannes. Trotz schauspielerischer Distanz gab es Tränen. Sie habe sich, sagt sie, sofort als Opfer gefühlt und diese Rolle sogar ein Stück weit genossen. Kienberger wiederum ist erstaunt, aus welchen Tiefen seines Selbst er diese Facette heraufholte, am Urprung vermutet er seine Schuljahre im strengen Internat Disentis.

Beiden war klar, das Publikum mit «Galgaboda» nicht in Depression stürzen zu wollen. Deshalb deuten sie immer wieder humorvoll ihre gemeinsame Geschichte an. Kienbergers Musik ist mal tröstlich, mal unheimlich. Hohe Stimme, altmodisches Örgeli, sirrende Glasklänge, flappende Rabenflügel – «Galgaboda» spielt mit unseren Emotionen.

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