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Entfesselte Technik im Spätherbst des Kapitalismus

Ernst-Wilhelm Händlers Roman «Der Überlebende» sieht die Welt der Roboter als Endzeit des Menschen. Eine einsame Rede auf den letzten Stand von Technik und Kapital.

Die Logik des Kapitals ist auch die Logik seiner Technik. Das hatte der deutsche Philosoph Martin Heidegger schon 1966 erkannt. In seinem berühmten Gespräch mit dem «Spiegel» hatte er gefolgert: «Nur ein Gott kann uns retten!»

Ernst-Wilhelm Händler beschreibt die Gegenwart aus dieser Perspektive. Aus der Haltung Heideggers gewissermassen. Sein namenloser Erzähler im neuen Roman ist der «Überlebende». Er hat tatsächlich überlebt, aber nicht die Technik, mit der er stets auf Augenhöhe umgeht, sondern die Menschen seiner nächsten Umgebung, die er seinen technischen Obsessionen opfert.

Fabelhaft orientierungsfähig, radikal zielbewusst

Der Erzähler leitet das Leipziger Werk eines multinationalen Konzerns für Elektrotechnik. An der Konzernleitung vorbei betreibt er mit einem System aus schwarzen Kassen ein Labor für Robotik. Sogenannte Swarm-Bots werden dort hergestellt, «masslos beweglich, extrem schnell, fabelhaft orientierungsfähig und radikal zielbewusst!», wie es heisst.

Buchhinweis

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Ernst-Wilhelm Händler: «Der Überlebende». Verlag S. Fischer, 2013.

Von seiner Geheimhaltung ist der Erzähler so besessen, dass er die Mitarbeiter videoüberwacht und nacheinander ausschaltet, wenn sie gefährlich werden, bis zuletzt auch Frau und Tochter aus dem Weg geräumt sind. An seine Frau, die Künstlerin, die Gobelins webte, sind post mortem ganze Partien des Romans gerichtet: «Maren, hörst Du mich?» So trägt der Text Züge einer Konfession. Ein grosses Selbstgespräch. Es ist eine einsame Rede auf den letzten Stand von Technik und Kapital, auf die Perspektiven der Robotik.

Der Mensch als Kollege, zuletzt schon zum Human-Kapital reduziert, kann abgeschafft werden. Ersatz ist zur Hand oder doch in Sichtweite, wenn die Welt der Swarm-Bots vollendet ist. Die Robotik ersetzt die Wirklichkeit. An der stillen Bedrohung, die darin liegt, ist auch hier kaum Zweifel, wie in den Filmen über die Macht der Roboter von «Westworld» über Kubricks «2001: Odyssee im Weltraum» bis zu «Matrix». Und doch herrscht hier eine traurige, kalte Gewissheit über den Lauf der Dinge im avancierten Kapitalismus.

Langer Abschied von der Wirklichkeit

Der Schriftsteller Ernst-Wilhelm Händler ist auch promovierter Ökonom. Er war an einem Unternehmen zur Herstellung von Schaltschränken beteiligt. Schon seit seinem Debüt mit dem Erzählband «Stadt mit Häusern» erforscht Händler, wie das Kapital auf das Bewusstsein einwirkt, wie Wirtschaft und Seelenlage zueinander stehen.

In «Wenn wir sterben» wird das am Schicksal dreier Geschäftsfrauen durchgespielt. Da bleibt kaum Platz für psychische Autonomien, für die Restbestände des Persönlichen. Es ist ein langer Abschied von der Wirklichkeit, wenn man der erzählerischen Konsequenz dieses Autors folgt. Aber er wird kommen, da ist sich der Autor sicher. Händlers Romane sind frei von Ironie. Er schreibt durchweg im Protokollstil. Und er meint es ernst mit seiner Diagnose der entfesselten Technik im Spätherbst des Kapitalismus. In den Algorithmen der digitalen Welt ist die «Sprache der Macht» und für die Seele kein Platz.

«Die Wirklichkeit wird nicht mehr gebraucht, sie kann verschwinden, sie muss verschwinden», heisst es im neuen Roman. Eine «Doppelgängerin ohne Menschen» wird sie ersetzen. Ist das so? Vielleicht. Ja, vielleicht.

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