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Lärm und Wachstum Grenzgänger in Genf: Hat das System seine Grenzen erreicht?

Der starke Anstieg der Grenzgängertätigkeit stellt beide Seiten der französisch-schweizerischen Grenze vor wachsende Herausforderungen: Überlastete Verkehrswege, unter Druck geratene Gemeinden und zunehmende soziale Ungleichheit prägen die Entwicklung im Grossraum Genf.

Im beschaulichen Genfer Dorf Soral mit seinen 900 Einwohnerinnen und Einwohnern wiederholt sich jeden Morgen und Abend dasselbe Szenario: Täglich rollen fast 7000 Autos durch den Ort – das entspricht einem Fahrzeug alle zwei Sekunden. Der Grund: eine regelrechte Flut französischer Grenzgänger, die auf dem Weg zur Arbeit nach Genf sind.

So leidet das Dorf Soral (mit deutschen Untertiteln)

Für die Bevölkerung ist der Lärm kaum auszuhalten. Den Behörden scheint das Problem unlösbar. «Bevor man das Wirtschaftswachstum des Kantons weiter vorantreibt, sollte man sich diesen Problemen stellen», so Bürgermeisterin Laura Weiss gegenüber dem Westschweizer Radio und Fernsehen RTS.

Ein gespaltenes Frankreich

Nur wenige Kilometer entfernt, auf französischer Seite, erlebt Alban Magnin, Bürgermeister der französischen Kleinstadt Valleiry, eine ähnliche Situation: Staus, rasante Zersiedelung und explodierende Immobilienpreise.

Die eigentliche Grenze verläuft heute unsichtbar – mitten durch das «gespaltene Frankreich» entlang der Schweizer Grenze: Auf der einen Seite stehen jene, die in der Schweiz arbeiten und in Franken verdienen. Auf der anderen Seite jene, die in Frankreich bleiben und in Euro bezahlt werden.

Ein Autofahrer im Stau
Legende: Die Mehrheit der Staustunden ist auf Verkehrsüberlastung zurückzuführen. Keystone / SALVATORE DI NOLFI

Während Genf wirtschaftlich floriert, wächst das angrenzende Frankreich rasant, verdichtet sich – und wird zunehmend gespalten.

In den Grenzdörfern hat sich das Bild grundlegend gewandelt. In Valleiry leben heute rund 5000 Menschen – vor 50 Jahren waren es noch 1000. Wo einst Kühe weideten, stehen heute Einfamilienhäuser.

Der Bürgermeister findet das paradox: «Man braucht zwei Einkommen in Schweizer Franken, um sich hier ein Haus leisten zu können.» Der Quadratmeterpreis habe sich im Vergleich zum französischen Durchschnitt verdreifacht. Was für ein Genfer Paar noch als «erschwinglich» gilt, ist für Familien mit Euro-Einkommen längst unbezahlbar geworden. Die Einkommensschere hat eine stille Trennung zwischen Grenzgängern und Einheimischen geschaffen.

Wachsende Bedürfnisse, schrumpfende Ressourcen

Diese Spannungen ziehen sich durch das gesamte Einzugsgebiet. Die französischen Gemeinden müssen den zunehmenden Verkehr, aber auch die wachsenden Schülerzahlen und die steigenden sozialen Anforderungen einer jungen, aktiven und oft anspruchsvollen Bevölkerung bewältigen. In Annemasse etwa eröffnet Bürgermeister Christian Dupessey alle sechs Jahre eine neue Primarschule mit 17 Klassen – um dem stetig wachsenden Bedarf gerecht zu werden.

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Die kommunalen Budgets geraten dabei an ihre Grenzen, und die Personalgewinnung wird zur Herausforderung: Wie kann man verhindern, dass städtische Angestellte nach Genf abwandern, wo die Löhne zwei- bis dreimal so hoch sind?

13-facher Anstieg der Grenzgänger in 50 Jahren

Zur Kompensation dieser Kosten leistet der Kanton Genf einen sogenannten «finanziellen Beitrag» an Frankreich – 2024 waren es 370 Millionen Franken. Dieses Geld wird zwischen den Gemeinden und dem Departement aufgeteilt. Doch die Summe reicht längst nicht mehr aus, um das Ungleichgewicht auszugleichen: Die öffentlichen Ausgaben wachsen schneller als die Einnahmen.

Als dieser Mechanismus vor 50 Jahren eingeführt wurde, zählte man 9000 Grenzgänger. Heute sind es 115'000 – fast dreizehnmal so viele.

RTS Temps présent, 6.11.2025, 20:10 Uhr; sten

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