Theresa May wollte den Brexit mit voller Rückendeckung durch Volk und Parlament abwickeln – und setzte dafür auf Neuwahlen. Die Premierministerin ging damit «All-In», um die Pokersprache zu bemühen – und hat fast alles verloren.
Das Wahldesaster kommt ein knappes Jahr nach dem Brexit-Entscheid, als May als «einzige Erwachsene im Raum» die Macht übernahm, wie SRF-Korrespondent Martin Alioth zurückblickt.
Alioth hat Mays Wahlkampf intensiv beobachtet. Im «Tagesgespräch» zeigt er fünf Gründe auf, wie sich May derart verschätzen konnte – und mit ihr die versammelte Journalistenschar.
Der unnötige Casino-Besuch
«Theresa May hat sich verzockt: Sie hatte eine absolute Mehrheit, bevor sie – ohne Not – Neuwahlen drei Jahre vor dem eigentlichen Termin anberaumt hat. Das zeugt von einer gewissen Sorglosigkeit. Aber auch wir Journalisten haben die Lage falsch eingeschätzt – wie schon beim Brexit. Dieses Resultat hat kaum jemand erwartet.»
Leichenfledderei bei der Ukip verpasst
«Die fremdenfeindliche, anti-europäische Ukip hat bei den Parlamentswahlen vor zwei Jahren fast vier Millionen Stimmen geholt, befindet sich aber mittlerweile im freien Fall. Die Annahme, dass diese heimatlosen Stimmen hauptsächlich an die Konservativen gehen würden, war schlichtweg falsch: In vielen Wahlkreisen profitierte Labour vom Niedergang von Ukip – obwohl May ihr Terrain kolonisiert hatte.»
May hat die eigene Popularität überschätzt
«May hat einen ausserordentlich personalisierten Wahlkampf geführt. Sie hoffte, Labour-Wähler im Norden Englands aufgrund ihrer Persönlichkeit auf ihre Seite zu ziehen. Diese haben gewisse Berührungsängste mit der Marke ‹Tory›. Im Erfolgsfall wäre May die grosse Siegerin geworden. Jetzt ist sie mit dem Anspruch, ihr eigenes Mandat mit jeder einzelnen Wählerstimme zu stärken, die grosse Verliererin.»
Der «harte Brexit»-Kurs schlägt fehl
«Es hiess immer, May wolle Neuwahlen, um die ‹Radikalinskis› in der eigenen Partei in Schach zu halten. Also diejenigen, die einen radikalen Bruch mit der EU anstreben. Mit ihren Aussagen ordnete sich May aber selber in dieses Lager ein. Tatsächlich wollte May die wenigen Pro-Europäer in der eigenen Fraktion hindern, ihre eigenen Pläne zu sabotieren. Denn diese haben in den anderen Parteien Verbündete. Es wird jetzt sehr schwierig für May.»
Unglaubwürdige «Anti-Terror-Managerin»
«Tory-Chefin May hat auf Führungsstärke, Anti-Terror-Kampf und Sicherheit gesetzt. Instinktiv hätte man glauben können, dass sie durch die jüngsten Terroranschläge ‹profitieren› würde. Zumal Jeremy Corbyn in der Vergangenheit keinen Hehl aus seiner Sympathie für die IRA oder Hamas gemacht hatte. Mit den jüngsten Anschlägen wurden aber fehlende, eingesparte Polizisten zu einem Riesenthema. Das war Wasser auf die Mühlen von Corbyn.»
Tories verlieren 13 Sitze
Auch der letzte der 650 britischen Wahlkreise hat seine Stimmen ausgezählt, und die Wahlschlappe für Theresa Mays konservative Partei ist nun noch klarer: Die britische Premierministerin hat definitiv die Regierungsmehrheit im Parlament verloren. Nach Auszählung aller 650 Wahlkreise kamen die Tories auf 318 Sitze, 13 weniger als bei der vorigen Wahl vor zwei Jahren. Um weiter regieren zu können, müssen sie einen Partner finden, der ihre Politik mitträgt. Als wahrscheinlichste Möglichkeit gilt eine Absprache mit der nordirisch-unionistischen DUP, die zehn Sitze gewann. Die Labour-Partei von Mays Herausforderer Jeremy Corbyn schickt demnach 262 Abgeordnete ins Unterhaus, 30 mehr als bisher. |