«Die Troika frisst unsere Kinder!» Mit dieser Schlagzeile sorgte kürzlich die griechische Tageszeitung «Eleftherotypia» für Aufsehen.
Dahinter steckt nichts weniger als ein dramatischer Rückgang der Geburtenrate in Griechenland seit Beginn der Wirtschaftskrise. So kamen 2012 fast 15 Prozent weniger Kinder zur Welt als noch 2008. Die Zahl der Neugeborenen sank innert vier Jahren von 118‘302 auf 100‘980.
«Der Rückgang ist eine natürliche Konsequenz der drastischen Sparmassnahmen und den Rekordwerten bei der Arbeitslosigkeit – insbesondere bei der jüngeren Generation.» Das sagt Christina Papanikolaou, Generalsekretärin des griechischen Gesundheitsministeriums, im britischen «Guardian».
Nachwuchs als Luxusgut
Damit lässt die Regierung in Athen keine Zweifel: Schuld am Rückgang ist der harte Sparkurs, diktiert und überwacht von der Troika. Sie besteht aus Vertretern der EU, der Europäischen Zentralbank (EZB) und dem Internationalen Währungsfonds (IWF).
Die Folgen: Jeder vierte Grieche ist ohne Job – bei 15- bis 24-Jährigen sind fast 60 Prozent arbeitslos. 2,2 der 11 Millionen Griechen leben in Armut. Als arm gilt, wer mit einem Monatsgehalt von 550 Euro oder weniger auskommen muss.
Im Vergleich dazu stehen die Farakos gut da. SRF-Korrespondentin Rodothea Seralidou hat das Ehepaar in Athen besucht. Beide haben Arbeit, und zusammen verdienen sie 1500 Euro. Doch am Monatsende werde es oft knapp, sagt Antigoni Farakos.
Athen behandle Kinder wie ein Luxusgut: Der Staat geht davon aus: Wer Kinder hat, verdient auch mehr – sonst könnte man sich diesen Luxus ja nicht leisten. Die Steuerlast sei deshalb für Familien mit Kindern höher als für kinderlose Paare. Finanzhilfen an Eltern seien gekürzt oder gestrichen worden. Junge Mütter würden oft als erste entlassen. «All das beeinflusst uns in unserer Entscheidung, ein Kind zu bekommen», sagt Farakos.
1,1 Kinder pro Griechin
Bleibt die Geburtenrate weiterhin tief, droht der Gesellschaft langfristig eine Überalterung. Dass viele junge Griechen auswandern, macht die Situation nicht besser.
Zwar sind sinkende Geburtenraten während Rezessionen kein neues Phänomen. Auch in Europa kamen zwischen 2008 und 2011 rund 3,5 Prozent weniger Kinder zur Welt. In den Jahren zuvor war die Geburtenrate leicht angestiegen.
Doch der dramatische Abfall in Griechenland sticht hervor. «Die Geburtenrate wiederspiegelt den Rückgang des Bruttoinlandproduktes von 25 Prozent seit dem Start der Krise», ist Christina Papanikolaou vom Gesundheitsministerium überzeugt. Derzeit gebärt eine Griechin im Schnitt 1,1 Kinder. In der Schweiz kommen auf eine Frau 1,53. Der europäische Durchschnitt beträgt 1,57 Kinder.
Ein Fünftel mehr Totgeburten
Auch Gesundheitsminister Adonis Georgiadis sieht den Grund für den landesweiten Babyschwund in der Wirtschaftskrise. Und er nennt noch eine weitere besorgniserregende Zahl: Auch die Totgeburten haben stark zugenommen – um über 20 Prozent.
Den Grund dafür orten Fachleute ebenfalls im Spardiktat. Der Kahlschlag im Gesundheitswesen – der Budgetposten wurde seit 2009 mehr als ein Viertel reduziert – traf auch die Schwangerschaftsvorsorge: Sämtliche Tests an Schwangeren, die nach 1999 eingeführt wurden, sind aus der kostenlosen Gesundheitsvorsorge wieder herausgestrichen worden. Wer länger als ein Jahr arbeitslos bleibt, verliert den Zugang zu dieser Gesundheitsvorsorge.
Flucht aus dem Spital
Im September konfrontierte ein Parlamentarier den Gesundheitsminister mit der Befürchtung, dass arbeitslose Schwangere mangels ausreichender Vorsorge ihre Kinder verlieren. Adonis Georgiadis will nun dafür sorgen, dass künftig auch nicht-versicherte und finanziell schwächere Frauen Zugang zu den Tests erhalten.
Auch die Entbindung stellt für manche Frau eine unüberwindbare finanzielle Hürde dar. Sie schlägt mit 600 Euro zu Buche, ein Kaiserschnitt gar mit 1200 Euro. Spitalangestellte berichten von Frauen, die mitten in der Nacht mit ihren Babys aus dem Spital fliehen, um die Gebühr zu umgehen. Viele von ihnen gehören zu den Ärmsten im Land: Nicht-versicherte Migrantinnen.