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International Die Welt ist aus den Fugen – tatsächlich?

Terrormeldungen im Wochenrhythmus, Kriege und Flüchtlinge, erstarkender Nationalismus oder eine Türkei im Ausnahmezustand – die Welt scheint aus den Fugen. Oder kommt es uns nur so vor? Eine Analyse.

Unwirklich, verwirrend, erschütternd sind sie, die Meldungen zum Terror in Nizza oder Würzburg, zur Flüchtlingskrise und damit einhergehend der Ohnmacht Europas, zum Ausstieg Grossbritanniens aus der EU und zuletzt zum Putschversuch in der Türkei – die Welt scheint aus den Fugen.

Donald Trump auf Podium
Legende: Donald Trump – da weiss man, was man hat. Keystone

Optimismus findet sich kaum dieser Tage, es überwiegt die latente Verunsicherung, ständig in Erwartung der nächsten, schrecklichen Nachricht. Die Waffenverkäufe in der Schweiz steigen sprunghaft an, und es ist die Stunde der starken Männer (und Frauen) wie beispielsweise Donald Trump. Sie vermitteln klare Botschaften in unsicheren Zeiten. Da weiss man, was man hat.

«In der Demokratie entscheiden Meinungen, nicht Fakten»

Allein: Die subjektive Wahrnehmung deckt sich nicht unbedingt mit den objektiven Fakten. Bekannt sind die Statistiken zu Terror oder Kriminalität. Sie zeigen deutlich: Es gibt heute weniger Terror-Opfer als beispielsweise in Zeiten von ETA oder IRA und die Kriminalität in der Schweiz oder den USA nimmt ab.

«Die Furcht vor Kriminalität hat noch nie zu den tatsächlichen Fakten gepasst», sagt Christian Schwabe, Politikwissenschaftler an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Verunsicherung und Ambivalenz seien grundsätzliche Wesenszüge der Moderne.

Wir verfügen über so viele Fakten wie nie zuvor, doch «in der Demokratie sind nicht unbedingt Fakten entscheidend, sondern Meinungen», bestätigt auch Francis Cheneval, Professor für politische Philosophie an der Universität Zürich. «Jemand kann ihnen zehn Fakten präsentieren, und sie können trotzdem eine gegenteilige Meinung vertreten, niemand kann sie zwingen, den Fakten zu glauben. Das könnte man als Schwäche der Demokratie bezeichnen», so Cheneval.

Warum fürchten wir uns mehr als früher? Warum verschärft sich der Ton in der öffentlichen Debatte, werden aggressive Beschimpfungen und Pauschalurteile plötzlich salonfähig?

Persönliche Betroffenheit

Die Welt und deren Probleme finden nicht mehr da draussen statt, zeitverzögert und mit sicherem Abstand zu uns. «Die Verunsicherung ist in den kleinen, sicheren Garten der europäischen Idylle eingedrungen», sagt Francis Cheneval.

Zudem gelten Gewissheiten und Regeln nicht mehr, der Terror ist unberechenbar und absolut willkürlich geworden: Es kann jeden treffen. Obwohl die Wahrscheinlichkeit, durch einen Autounfall oder gar im eigenen Haus tödlich zu verunglücken, markant höher ist als durch einen Terroranschlag, vermittelt diese Unberechenbarkeit Angst und vor allem: Ohnmacht. «Wahrscheinlichkeit spielt keine grosse Rolle mehr», bestätigt Schwaabe.

Francis Cheneval

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ist Professor für politische Philosophie an der Universität Zürich und forscht unter anderem zu den Themen globale Gerechtigkeit, Theorie der Demokratie und Europäische Integration.

«Kollektives Phänomen von Alzheimer»

Kommt hinzu: Die Vergangenheit wird gerne verklärt – früher war alles besser. Francis Cheneval: «Wir haben ein schlechtes Gedächtnis und sind gleichzeitig unglaublich fixiert auf die Aktualität. Es herrscht beinahe kollektiver Alzheimer in Bezug auf Gewalt in der Vergangenheit. Stattdessen wird die Vergangenheit idealisiert.»

Namhafte Philosophen und Historiker wie etwa Paul Nolte oder Jürgen Habermaas plädieren öffentlich für mehr Optimismus. Wer den «Weltuntergang» kommen sehe, könne bloss den Gedanken nicht ertragen, dass wir auch nur eine Generation unter vielen sind, sagte Nolte jüngst in einem Interview.

Auch Cheneval bezeichnet sich als unerschütterlichen Optimisten. «Die Welt ist nicht aus den Fugen! Bedenken Sie, wie viel in unserem Alltag tatsächlich funktioniert, wie viel Wohlstand, wie viele Optionen wir haben. Wir müssen uns daran festhalten.»

Christian Schwaabe

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ist Privatdozent am Lehrstuhl für Politische Theorie und Philosophie der Ludwig-Maximilians-Universität München. Er hat mehrere Bücher zur politischen Theorie und zur Krise der Moderne veröffentlicht.

Doch: Je grösser die Unsicherheit, desto einfacher lässt sie sich instrumentalisieren. Diese Entwicklung beunruhigt Francis Cheneval. Wenn auch reelle Bedrohungen nicht von der Hand zu weisen sind – wer am öffentlichen Diskurs teilnehme, habe die Verantwortung, ruhig und besonnen zu argumentieren, fordert auch Christian Schwaabe.

Der Konflikt zwischen Rechtspopulisten und der im weitesten Sinne liberalen Noch-Mehrheit werde die politische Diskussion der nächsten Jahre verstärkt prägen, ist Schwaabe überzeugt. «Besonnenheit bringt offensichtlich im Moment zu wenig Wählerstimmen.»

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