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«Russland hat keine Hemmungen»: Die Journalistin Stefanie Glinski berichtet aus Schytomyr
Aus SRF 4 News aktuell vom 03.03.2022. Bild: Keystone
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Krieg in der Ukraine Lagebericht aus Schytomyr: eine Stadt im Fadenkreuz der Russen

Ein riesiger Krater, wo früher einmal Einfamilienhäuser standen: Die Stadt Schytomyr rund 120 Kilometer westlich von Kiew ist von Russland angegriffen worden – die Raketen schlugen offenbar mitten in zivilem Gebiet ein. Die freie Journalistin Stefanie Glinski ist derzeit in der Stadt mit rund 200'000 Einwohnerinnen und Einwohnern. Sie berichtet von Menschen, die in ständiger Angst vor dem nächstem Angriff leben – und sich den russischen Invasoren entgegenstellen wollen.

Stefanie Glinski

Stefanie Glinski

Freie Journalistin im Nahen Osten

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Die freie Journalistin Stefanie Glinski berichtet unter anderem für den britischen «Guardian», «Foreign Policy» und die «Frankfurter Allgemeine Zeitung». Sie konnte nach der Flutkatastrophe nach Derna in Libyen reisen.

SRF News: Wie ist die Nacht in Schytomyr verlaufen?

Stefanie Glinski: Relativ ruhig, auch wenn oft Sirenen zu hören waren. Man geht in den Keller und Bunker und wartet ab, was passiert. Die meisten Menschen sind völlig erschöpft, auch von den Angriffen der letzten Nacht.

Am Mittwoch gab es einen Luftangriff. Sie waren danach am Einschlagsort. Was haben Sie dort angetroffen?

Es war heftig. Es war ganz klar, dass eine Wohngegend und keine militärischen Strukturen zerstört wurden. Ein Geburtskrankenhaus wurde beschädigt, die Patienten wurden evakuiert. Häuser waren komplett zerstört. Der Einschlag der Bombe war sehr tief. Eine Mann und seine Frau überlebten den Angriff. Es war ein Wunder: Ihr Haus war komplett zerstört. Nichts stand mehr. Die Frau war schockiert. Die Menschen haben versucht aufzuräumen, ihre letzten Habseligkeiten zu finden.

Wie haben die Menschen in der Stadt auf den Angriff reagiert?

Das russische Militär kommt immer näher. Die Stimmung ist sehr gedrückt, die Angst ist greifbar. Über den ganzen Tag hinweg heulen die Sirenen. Die Menschen erledigten die nötigsten Einkäufe, ansonsten sind die Strassen aber relativ leer. Es ist leise, es herrscht Ungewissheit vor dem, was kommen könnte.

Andererseits rüstet die ganze Stadt auf. Zivilisten wollen sich vor den einmarschierenden Russen verteidigen. Die Menschen sagen, dass sie keine andere Wahl haben. Sie wollen ihre Familien und ihr Land beschützen. Es werden Sandsäcke aufeinandergeschichtet und Checkpoints errichtet. Männer gehen mit jeglichen Waffen, die sie zuhause finden konnten, an die Front.

Wie versorgen sich die Menschen in der Stadt?

Es gibt noch Lebensmittel in den Geschäften. Es ist noch nicht so schlimm wie in der Hauptstadt Kiew. In Schytomyr sind vor allem Regale mit Konservendosen und Nahrungsmitteln, die länger haltbar sind, leergeräumt. In einigen kleineren Restaurants kann man noch Lebensmittel kaufen.

Ich nehme an, die Menschen rechnen nun mit weiteren Angriffen. Wie bereiten sie sich vor?

Die Sirenen hallen weiter laut durch die Stadt. Die Ankündigung eines weiteren Anschlags hinterlässt ein bedrückendes Gefühl. Frauen und Kinder brechen auf und wollen die Stadt verlassen. Vom Bahnhof aus fahren aber nur wenige Züge, in der Nähe gibt es auch noch einen Busbahnhof, von dem es mehr Fahrten Richtung Westen gibt.

Natürlich ist jedes Kriegsgebiet schrecklich und überall müssen die Menschen flüchten. Aber zu sehen, wie unberechenbar dieses russische Militär ist, ist schlimm.

Männer zwischen dem 18. und 60. Lebensjahr bleiben zurück, um zu kämpfen. Wenn sie keine Familie haben, müssen sie das auch. Die Angst, die Panik ist gross. Wer die Stadt verlässt, verlässt auch seine Heimat – und weiss nicht, ob eine Rückkehr möglich sein wird und wie Schytomyr dann aussehen wird.

Sie selbst haben sich ins Kriegsgebiet gewagt und wollen auch noch weiter nach Kiew. Warum?

Ich habe schon aus vielen anderen Kriegsgebieten berichtet. Aber das hier ist etwas ganz anderes. Diese Gefahr, diese Drohgebärde, die von einem Land wie Russland mit einem derart grossen Militär ausgeht: Man weiss nicht, was im nächsten Moment passieren wird. Die Menschen erleben, dass Russland keine Hemmungen hat. Die Bomben fallen, es herrscht eine solche Gewalt. Natürlich ist jedes Kriegsgebiet schrecklich und überall müssen die Menschen flüchten. Aber zu sehen, wie unberechenbar dieses russische Militär ist, ist schlimm.

Das Gespräch führte Nina Gygax.

SRF 4 News, 03.03.2022, 06:20 Uhr;

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