Ein einfaches Haus in einem Aussenbezirk von Nairobi. Auf den Balkonen der Wohnungen rundherum flattert Wäsche. Ein Baby schreit. Im Hinterhof des Hauses herrscht emsiges Treiben. Eine Person fegt den Boden, eine andere wäscht das Geschirr vom Vorabend ab, eine dritte schält Kochbananen. Sie alle diskutieren angeregt, machen Witze, lachen.
Eine Szene mit drei Frauen: mit drei Trans-Frauen, die aus Uganda nach Kenia geflüchtet sind.
Eine neue Familie für Tina und Ma Makeba
Alles an der Trans-Frau Tina strahlt Herzlichkeit und Wärme aus. In Uganda besuchte sie eine Hotelfachschule. Kochen ist ihre Leidenschaft. «Kochen ist Ausdruck von Liebe. Die Frauen sitzen zusammen, tauschen Geschichten aus – ich mag diese Stimmung.» In Uganda habe das jedoch niemand verstanden.
Männer sammeln Holz. Ich spürte, dass dies nicht meine Welt ist, dass ich nicht reinpasse.
Kochen sei nichts für Männer. «Männer sammeln Holz. Ich spürte, dass dies nicht meine Welt ist, dass ich nicht reinpasse», seufzt Tina, während sie den Maisbrei umrührt.
Die 30-Jährige flüchtete 2018 nach Kenia, nachdem sie in Uganda mehrmals bedroht und zusammengeschlagen worden war. Tina kleidet sich immer noch in sogenannte Männerkleider. Sie wolle nicht auffallen, es sei auch in Kenia gefährlich, sich zu outen.
Ihre beste Freundin Ma Makeba stammt ebenfalls aus Uganda, auch sie erlebte körperliche Gewalt wegen ihrer sexuellen Orientierung respektive Geschlechtsidentität. Im Unterschied zu Tina lässt sie es sich nicht nehmen, in Frauenkleidern herumzulaufen. Sie liebt alles, was Weiblichkeit symbolisiert. Die Zwiebeln für Tinas Gericht rüstet sie mit einem ausladenden Hut auf dem Kopf und einem künstlichen Pelzkragen um den Hals.
Wichtiger als die äusserlichen Attribute sind Ma Makeba und Tina, dass sie in Nairobi, in diesem Safe-Haus, eine neue Familie gefunden haben. «Unsere biologischen Familien haben uns verstossen, ich habe seit meiner Flucht keinen Kontakt mehr. Doch hier fühle ich mich zu Hause: Meine Freundinnen sorgen für mich. Wir halten zusammen.»
Geschützt vom UNO-Flüchtlingswerk
Ein Bestandteil des Zusammenhalts ist das tägliche gemeinsame Mahl, das auf dem Boden des Wohnzimmers eingenommen wird. Die Trans-Frauen geben sich gegenseitig Mut, erzählen von ihren neuesten Erlebnissen und holen sich Trost, wenn sie wieder einmal in der Öffentlichkeit angepöbelt worden sind.
Auch Kenia sei kein sicheres Pflaster für Menschen wie sie, erklärt Ma Makeba. Der Unterschied zu Uganda: «In Uganda töten sie dich deswegen, in Kenia sind wir zumindest durch das UNO-Flüchtlingshilfswerk geschützt.»
In Uganda mischt man sich in deine Privatsphäre ein. Die Menschen fühlen sich berufen, Homosexualität auszurotten.
Zudem: «In Uganda mischt man sich in deine Privatsphäre ein. Die Menschen fühlen sich berufen, Homosexualität auszurotten.»
In Kenia leben die meisten LGBTQI-Flüchtlinge, wie es das Gesetz für Flüchtlinge vorschreibt, in einem der grossen Lager fernab der Hauptstadt. Dort werden sie finanziell und in anderen Belangen vom UNO-Flüchtlingshilfswerk (UNHCR) unterstützt.
Immer wieder hat es Angriffe auf die LGBTQI-Gemeinschaft gegeben. 2019 wehrte sie sich mit der Aufführung einer Gay-Parade mitten im Lager.
Einer der Organisatoren, Moses, sagt, sie hätten damit auf die Situation ihrer Gemeinschaft aufmerksam machen wollen. Darauf, dass sie existieren würden.
Er und seine Mitstreiterinnen wurden von anderen mehrheitlich männlichen Lagerinsassen deswegen blutig geschlagen. Dieser Vorfall führte dazu, dass eine grosse Gruppe in Kenias Hauptstadt Nairobi ziehen durfte.
Überleben dank Hühnerzucht und Online-Verkauf
In der Stadt erhalten die Flüchtlinge vom UNHCR jedoch keine finanzielle Unterstützung. Sie schlagen sich vor allem mithilfe verschiedener Organisationen und Einzelpersonen durch. Für Moses, der in einem anderen Safe-Haus lebt, ist es wichtig, dass er und seine Wahlfamilie alles tun, um finanziell auf eigenen Füssen stehen zu können.
Einer seiner Mitbewohner, Constance aus Uganda, sitzt den ganzen Tag auf einem alten Sofa im Wohnzimmer. Kopfhörer auf dem Kopf, den Kopf unter einem Kapuzenpullover, den Blick auf den Screen seines Laptops geheftet, murmelt er vor sich hin. Er arbeitet als Online-Verkäufer für eine ukrainische Firma. Dafür braucht er keine Arbeitsbewilligung. Für ihn eine geniale Lösung.
Moses hat im Hof eine Geflügelzucht aufgebaut, mit Wärmelampen für die Küken, verschiedenen Gehegen für Hühner, Truthähne und Gänse. Er ist stolz darauf. «Der Anblick der Küken muntert mich auf, wenn ich deprimiert bin und mal wieder nicht weiss, wie ich meine Freunde über Wasser halten soll.»
Einige Mitglieder in seinem Safe-Haus leiden regelmässig an Depressionen oder Angstzuständen. Sie erhalten Beratung und Therapien, doch helfen diese nur bedingt.
Ihre Biografien sind nicht von Hunger oder Krieg geprägt, sondern von moralisch repressiven Regierungen und Gesellschaften sowie einem Ringen um die eigene sexuelle Orientierung oder Geschlechtsidentität, die nicht sein darf und dazu führte, ein materiell abgesichertes Leben aufgeben zu müssen.
Homophobie in Afrika: Hinterlassenschaft der Missionare
Ausgehen ist für LGBTQI-Flüchtlinge in Nairobi immer riskant. Vor allem, wenn sie abends in eine Bar wollen, geschminkt und aufgemacht. Doch lassen sie sich diese kleinen Freiheiten nicht nehmen. Nachdem Ma Makeba sich im Hinterhof von einem befreundeten kenianischen Coiffeur rasieren liess, schminkt sie sich zusammen mit Tina vor ihrem Spiegel mit eingebauter Neonröhre.
Ma Makeba ist Beauty-Expertin und bekam in Nairobi einen Kurs in Make-up und Hautpflege gesponsert. Ohne Arbeitsbewilligung erhält sie jedoch keine Arbeit und wendet das Wissen vor allem an sich selbst an. Während der aufwändigen Prozedur kommen die beiden auf die afrikanischen Traditionen punkto Geschlecht zu sprechen.
Sie redeten davon, dass Homosexualität des Teufels sei.
Denn die Gesetze, die sowohl in Uganda als auch Kenia Homosexualität verbieten, wurden von den Briten eingeführt. «Die Missionare haben den Boden dafür vorbereitet: Sie brachten die Bibel. Sie redeten von Sodom und Gomorra, dass Homosexualität des Teufels sei», sagt Ma Makeba, während sie eine Make-up-Schicht auftupft.
Tina ergänzt, dass in ihrer Kultur früher bestimmte Situationen existierten, wo Männer gemeinsam ein Zimmer, ein Bett teilen konnten und sogar so Teil einer Familie sein durften. «Die Kolonialmächte haben auch das zerstört», seufzen beide, bevor Ma Makeba in Stilettos steigt und mit rotem Hut und riesigen Ohrringen zusammen mit Tina in einem Uber verschwindet, der sie sicher in eine Bar bringt.
Dort haben die beiden eine andere Familie gefunden, dank der toleranten Inhaberin, die ebenfalls aus Uganda stammt und darin geübt ist, neugierige Polizisten abzuwimmeln.
Ma Makeba blüht auf, hier sei sie sich selbst, ganz Frau und deshalb glücklich. Sie wird vorerst damit auskommen müssen, denn ihr Asylantrag ist noch nicht bearbeitet.
Für Tina hingegen erfüllte sich der Traum aller: Sie hat in Kanada Asyl erhalten. Dort wird sie sich nicht nur als Frau outen, sondern alles dafür tun, dass ihre Schwestern und Brüder in Afrika nicht vergessen gehen. «Es gibt sie, die LGBTQI-Flüchtlinge in Afrika, doch niemand kennt sie. Ich werde ihre Stimme sein!»