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Kenia: Zufluchtsland der LGBTQ-Community
Aus 10 vor 10 vom 21.03.2023.
abspielen. Laufzeit 5 Minuten 32 Sekunden.

LGBTQI-Flüchtlinge in Kenia Eine temporäre Heimat in einem feindlichen Land

Homosexualität ist in Kenia verboten. Das Land gewährt Flüchtlingen aber als einziges Land Ostafrikas Asyl aufgrund ihrer sexuellen Orientierung. Eine Reportage.

Ein einfaches Haus in einem Aussenbezirk von Nairobi. Auf den Balkonen der Wohnungen rundherum flattert Wäsche. Ein Baby schreit. Im Hinterhof des Hauses herrscht emsiges Treiben. Eine Person fegt den Boden, eine andere wäscht das Geschirr vom Vorabend ab, eine dritte schält Kochbananen. Sie alle diskutieren angeregt, machen Witze, lachen.

Eine Szene mit drei Frauen: mit drei Trans-Frauen, die aus Uganda nach Kenia geflüchtet sind.

Transfrauen essen auf dem Boden.
Legende: In ihrem Safe-Haus bilden die drei Trans-Frauen eine Schicksalsgemeinschaft. SRF/Cristina Karrer

Eine neue Familie für Tina und Ma Makeba

Alles an der Trans-Frau Tina strahlt Herzlichkeit und Wärme aus. In Uganda besuchte sie eine Hotelfachschule. Kochen ist ihre Leidenschaft. «Kochen ist Ausdruck von Liebe. Die Frauen sitzen zusammen, tauschen Geschichten aus – ich mag diese Stimmung.» In Uganda habe das jedoch niemand verstanden.

Männer sammeln Holz. Ich spürte, dass dies nicht meine Welt ist, dass ich nicht reinpasse.
Autor: Tina

Kochen sei nichts für Männer. «Männer sammeln Holz. Ich spürte, dass dies nicht meine Welt ist, dass ich nicht reinpasse», seufzt Tina, während sie den Maisbrei umrührt.

Die 30-Jährige flüchtete 2018 nach Kenia, nachdem sie in Uganda mehrmals bedroht und zusammengeschlagen worden war. Tina kleidet sich immer noch in sogenannte Männerkleider. Sie wolle nicht auffallen, es sei auch in Kenia gefährlich, sich zu outen.

Tina kleidet sich immer noch in sogenannten Männerkleidern.
Legende: Im Unterschied zu Tina (oben) trägt Ma Makeba (unten) Frauenkleider. SRF/Cristina Karrer

Ihre beste Freundin Ma Makeba stammt ebenfalls aus Uganda, auch sie erlebte körperliche Gewalt wegen ihrer sexuellen Orientierung respektive Geschlechtsidentität. Im Unterschied zu Tina lässt sie es sich nicht nehmen, in Frauenkleidern herumzulaufen. Sie liebt alles, was Weiblichkeit symbolisiert. Die Zwiebeln für Tinas Gericht rüstet sie mit einem ausladenden Hut auf dem Kopf und einem künstlichen Pelzkragen um den Hals.

Shorts statt Rock: Tina zieht sich um.
Legende: Shorts statt Rock: Ma Makeba zieht sich um. sRF/Cristina Karrer

Wichtiger als die äusserlichen Attribute sind Ma Makeba und Tina, dass sie in Nairobi, in diesem Safe-Haus, eine neue Familie gefunden haben. «Unsere biologischen Familien haben uns verstossen, ich habe seit meiner Flucht keinen Kontakt mehr. Doch hier fühle ich mich zu Hause: Meine Freundinnen sorgen für mich. Wir halten zusammen.»

Der Akt ist illegal, queer zu sein nicht – die Lage in Kenia

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Dass Kenia als einziges ostafrikanisches Land Asyl aufgrund der sexuellen Orientierung gewährt, obwohl Homosexualität illegal ist, mag seltsam erscheinen. Der homosexuelle Akt ist illegal, queer zu sein jedoch nicht.

In Kenia existieren im Land einige Organisationen, die sich für die Rechte der LGBTQI-Gemeinschaft einsetzen. Vor allem das UNO-Flüchtlingshilfswerk kämpft regelmässig für Verständnis und einen Dialog, vor allem auch in den Lagern, wo die queeren Flüchtlinge häufig Gewalt ausgesetzt sind. Aus diesen Gründen fliehen die Menschen vor allem aus Uganda nach Kenia. Denn dort verkündete Präsident Yoveri Museveni 2014, dass Homosexuelle ekelerregend seien, später unterschrieb er ein Anti-Gay-Gesetz. Was im Ausland Entsetzen auslöste, stiess im eigenen Land unter einer Mehrheit der Bevölkerung auf Zuspruch.

2015 verabschiedete das Parlament ein Gesetz, das Homosexualität mit dem Tod bestrafen sollte. Die Todesstrafe wurde dann aber später auf zehn Jahre Gefängnis umgewandelt. Doch der Druck auf die Regierung seitens der Bevölkerung und religiösen Führern ist nach wie vor enorm. Gruppierungen, die für die Rechte der LGBTQI-Gemeinschaft kämpfen, sind 2022 verboten worden.

Geschützt vom UNO-Flüchtlingswerk

Ein Bestandteil des Zusammenhalts ist das tägliche gemeinsame Mahl, das auf dem Boden des Wohnzimmers eingenommen wird. Die Trans-Frauen geben sich gegenseitig Mut, erzählen von ihren neuesten Erlebnissen und holen sich Trost, wenn sie wieder einmal in der Öffentlichkeit angepöbelt worden sind.

Die Trans-Frauen sitzen auf dem Teppich. Es stehen viele Schüsseln auf dem Boden.
Legende: Das gemeinsame Essen im Safe-House. SRF/Cristina Karrer

Auch Kenia sei kein sicheres Pflaster für Menschen wie sie, erklärt Ma Makeba. Der Unterschied zu Uganda: «In Uganda töten sie dich deswegen, in Kenia sind wir zumindest durch das UNO-Flüchtlingshilfswerk geschützt.»

In Uganda mischt man sich in deine Privatsphäre ein. Die Menschen fühlen sich berufen, Homosexualität auszurotten.
Autor: Ma Makeba

Zudem: «In Uganda mischt man sich in deine Privatsphäre ein. Die Menschen fühlen sich berufen, Homosexualität auszurotten.»

In Kenia leben die meisten LGBTQI-Flüchtlinge, wie es das Gesetz für Flüchtlinge vorschreibt, in einem der grossen Lager fernab der Hauptstadt. Dort werden sie finanziell und in anderen Belangen vom UNO-Flüchtlingshilfswerk (UNHCR) unterstützt.

Immer wieder hat es Angriffe auf die LGBTQI-Gemeinschaft gegeben. 2019 wehrte sie sich mit der Aufführung einer Gay-Parade mitten im Lager.

Organisierte 2019 eine Gay-Parade: Moses.
Legende: Moses organisierte 2019 eine Gay-Parade als Protestaktion. srf/Critina KArrer

Einer der Organisatoren, Moses, sagt, sie hätten damit auf die Situation ihrer Gemeinschaft aufmerksam machen wollen. Darauf, dass sie existieren würden.

Er und seine Mitstreiterinnen wurden von anderen mehrheitlich männlichen Lagerinsassen deswegen blutig geschlagen. Dieser Vorfall führte dazu, dass eine grosse Gruppe in Kenias Hauptstadt Nairobi ziehen durfte.

Überleben dank Hühnerzucht und Online-Verkauf

In der Stadt erhalten die Flüchtlinge vom UNHCR jedoch keine finanzielle Unterstützung. Sie schlagen sich vor allem mithilfe verschiedener Organisationen und Einzelpersonen durch. Für Moses, der in einem anderen Safe-Haus lebt, ist es wichtig, dass er und seine Wahlfamilie alles tun, um finanziell auf eigenen Füssen stehen zu können.

Einer seiner Mitbewohner, Constance aus Uganda, sitzt den ganzen Tag auf einem alten Sofa im Wohnzimmer. Kopfhörer auf dem Kopf, den Kopf unter einem Kapuzenpullover, den Blick auf den Screen seines Laptops geheftet, murmelt er vor sich hin. Er arbeitet als Online-Verkäufer für eine ukrainische Firma. Dafür braucht er keine Arbeitsbewilligung. Für ihn eine geniale Lösung.

Constance am Computer
Legende: Constance arbeitet online für ein ukrainischen Unternehmen. SRF/Cristina Karrer

Moses hat im Hof eine Geflügelzucht aufgebaut, mit Wärmelampen für die Küken, verschiedenen Gehegen für Hühner, Truthähne und Gänse. Er ist stolz darauf. «Der Anblick der Küken muntert mich auf, wenn ich deprimiert bin und mal wieder nicht weiss, wie ich meine Freunde über Wasser halten soll.»

Einige Mitglieder in seinem Safe-Haus leiden regelmässig an Depressionen oder Angstzuständen. Sie erhalten Beratung und Therapien, doch helfen diese nur bedingt.

Ihre Biografien sind nicht von Hunger oder Krieg geprägt, sondern von moralisch repressiven Regierungen und Gesellschaften sowie einem Ringen um die eigene sexuelle Orientierung oder Geschlechtsidentität, die nicht sein darf und dazu führte, ein materiell abgesichertes Leben aufgeben zu müssen.

Homophobie in Afrika: Hinterlassenschaft der Missionare

Ausgehen ist für LGBTQI-Flüchtlinge in Nairobi immer riskant. Vor allem, wenn sie abends in eine Bar wollen, geschminkt und aufgemacht. Doch lassen sie sich diese kleinen Freiheiten nicht nehmen. Nachdem Ma Makeba sich im Hinterhof von einem befreundeten kenianischen Coiffeur rasieren liess, schminkt sie sich zusammen mit Tina vor ihrem Spiegel mit eingebauter Neonröhre.

Ma Makeba geschminkt
Legende: Ma Makeba macht sich für den Abend bereit. SRF/Cristina Karrer

Ma Makeba ist Beauty-Expertin und bekam in Nairobi einen Kurs in Make-up und Hautpflege gesponsert. Ohne Arbeitsbewilligung erhält sie jedoch keine Arbeit und wendet das Wissen vor allem an sich selbst an. Während der aufwändigen Prozedur kommen die beiden auf die afrikanischen Traditionen punkto Geschlecht zu sprechen.

Sie redeten davon, dass Homosexualität des Teufels sei.
Autor: Ma Makeba

Denn die Gesetze, die sowohl in Uganda als auch Kenia Homosexualität verbieten, wurden von den Briten eingeführt. «Die Missionare haben den Boden dafür vorbereitet: Sie brachten die Bibel. Sie redeten von Sodom und Gomorra, dass Homosexualität des Teufels sei», sagt Ma Makeba, während sie eine Make-up-Schicht auftupft.

Tina ergänzt, dass in ihrer Kultur früher bestimmte Situationen existierten, wo Männer gemeinsam ein Zimmer, ein Bett teilen konnten und sogar so Teil einer Familie sein durften. «Die Kolonialmächte haben auch das zerstört», seufzen beide, bevor Ma Makeba in Stilettos steigt und mit rotem Hut und riesigen Ohrringen zusammen mit Tina in einem Uber verschwindet, der sie sicher in eine Bar bringt.

Dort haben die beiden eine andere Familie gefunden, dank der toleranten Inhaberin, die ebenfalls aus Uganda stammt und darin geübt ist, neugierige Polizisten abzuwimmeln.

Ma Makeba blüht auf, hier sei sie sich selbst, ganz Frau und deshalb glücklich. Sie wird vorerst damit auskommen müssen, denn ihr Asylantrag ist noch nicht bearbeitet.

Für Tina hingegen erfüllte sich der Traum aller: Sie hat in Kanada Asyl erhalten. Dort wird sie sich nicht nur als Frau outen, sondern alles dafür tun, dass ihre Schwestern und Brüder in Afrika nicht vergessen gehen. «Es gibt sie, die LGBTQI-Flüchtlinge in Afrika, doch niemand kennt sie. Ich werde ihre Stimme sein!»

10vor10, 21.03.2023, 21.50 Uhr

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