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Neue türkische Verfassung «Das Kontrollorgan der Regierung wird ausgeschaltet»

Mitte April entscheidet die türkische Stimmbevölkerung über eine neue Verfassung. Das wurde heute bekannt. Es gehe um nicht weniger als die Zukunft der türkischen Demokratie, sagt SRF-Auslandredaktorin Iren Meier.

SRF News: Was bedeutet die geplante Verfassungsreform für die Türkei?

Iren Meier: Praktisch würde es das Ende der jahrzehntelangen parlamentarischen Demokratie bedeuten. Es ist ein Systemwechsel: Laut Verfassung hat der Staatspräsident der Türkei bisher ein symbolisches Amt inne und eine neutrale und vermittelnde Rolle. Mit der Verfassungsreform soll die Türkei ein Präsidialsystem erhalten, in dem der Präsident eine fast absolute Macht erhält. Das Parlament, bisher Kontrollorgan der Regierung, wird ausgeschaltet, entmachtet.

Iren Meier

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Iren Meier ist SRF-Auslandredaktorin mit dem Spezialgebiet Türkei. Sie war von 2004 bis 2012 Nahost-Korrespondentin und lebte in Beirut. Von 1992 bis 2001 war sie als Osteuropa-Korrespondentin tätig – erst in Prag, dann in Belgrad.

Präsident Erdogan rechtfertigt dieses geplante Präsidialsystem, indem er es mit jenem der USA vergleicht.

Dieser Vergleich ist falsch. In einem demokratischen Rechtsstaat gibt es die Gewaltenteilung. In den USA spricht man von den sogenannten Checks and Balances: das ist die gegenseitige Kontrolle der Verfassungsorgane, der einzelnen Machtzentren. Damit wird ein Gleichgewicht der Macht erreicht. Dafür muss aber das Parlament stark sein und die Justiz unabhängig – beides wird in der Türkei nach dieser Verfassungsreform nicht mehr der Fall sein. Und zu einem demokratischen Rechtsstaat gehört unbedingt die Meinungs-und Pressefreiheit – diese wird in der Türkei massiv unterdrückt und eingeschränkt.

Wie viele in der Bevölkerung unterstützen überhaupt diese Verfassungsänderung?

Die Begeisterung für das neue Präsidialsystem war selbst bei Erdogans Anhängern nie sehr gross. Vor dem Putschversuch letzten Sommer ging man davon aus, dass es keine Mehrheit finden würde bei einer Abstimmung. Seither ist aber viel passiert: Es gab eine neue Welle der Repression, viele Verhaftungen, Terroranschläge und eine schwächelnde Wirtschaft. Präsident Erdogan verspricht, als mächtiger Präsident für Stabilität und Sicherheit zu sorgen. Allgemein geht man davon aus, dass rund die Hälfte der Bevölkerung Präsident Erdogan unterstützt, es ist aber schwer vorauszusagen.

Die Begeisterung für das neue Präsidialsystem war selbst bei Erdogans Anhängern nie sehr gross.

Befindet sich die Türkei auf direktem Weg in eine Autokratie?

Formell bleiben die Konturen des demokratischen Rechtsstaates: Der Präsident ist gewählt und als Fassade bleibt das Parlament bestehen. Dahinter aber bewegt sich die Türkei Richtung Autokratie oder zumindest ständigem Ausnahmezustand.

Gibt es noch irgendeine Kraft im Land, die gegen Erdogan und dessen neue Verfassung ankämpfen kann?

Es gibt immer noch Bürgerinnen und Bürger, die den Mut dazu haben und riskieren, im Gefängnis oder im Exil zu landen. Auf der politischen Ebene ist es vor allem die grösste Oppositionspartei CHP, die Republikanische Volkspartei, die gegen die Verfassungsreform kämpft. Aber ihr Spielraum ist sehr klein und ihre Glaubwürdigkeit angekratzt: Sie ist mitverantwortlich für die Schwächung der Opposition. Sie hat nämlich mitgemacht, als es darum ging, die Immunität der Abgeordneten der prokurdischen HDP aufzuheben. Diese HDP-Politiker sitzen nun im Gefängnis.

Das Gespräch führte Catherine Weyer.

(Sendebezug: SRF 4 News, 10.02.2017, 12:30 Uhr)

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