Seit Jahren bewegt der Fall des Wachkoma-Patienten Vincent Lambert die französische Öffentlichkeit. Es geht um die Frage, ob und wann das Leben eines Schwerkranken beendet werden kann. Nun hat der Europäische Gerichtshof in Strassburg in dem Fall einen vorläufigen Schlussstrich gezogen: Eine Mehrheit der 17 Richter entschied: Lambert darf sterben.
Sie entsprachen damit nicht nur dem Wunsch von Lamberts Ehefrau und mehrerer seiner Geschwister, sondern stützten auch das Urteil des obersten französischen Verwaltungsgerichtes. Dieses hatte im vergangenen Jahr entschieden, die künstliche Ernährung des heute 38-jährigen Lambert dürfe eingestellt werden.
Familie uneins
Seine streng katholischen Eltern und zwei andere Geschwister des Mannes hatten hingegen geltend gemacht, die Einstellung der Ernährung verstosse gegen das Grundrecht auf Leben, wie es in der Europäischen Menschenrechtskonvention festgeschrieben sei.
Dem wollten die Strassburger Richter allerdings nicht folgen. «Mit dem heutigen Entscheid sagen die Strassburger Richter auch, dass der Entscheid der Ärzte und Ethikkommissionen und eines Teils der Familie auf der Basis des geltenden Rechts in Frankreich gefällt wurde», so Frankreich-Korrespondent Charles Liebherr in einer ersten Einschätzung.
Fall bewegt Frankreich seit Jahren
Lambert liegt seit einem Verkehrsunfall vor sieben Jahren im Wachkoma. Bei dem Unfall hatte er so schwere Gehirnschäden erlitten, dass es nach Ansicht der behandelnden Ärzte keine Aussicht auf Besserung gibt. Eine künstliche Lebensverlängerung um jeden Preis sei unzumutbar, war im massgeblichen Gutachten zu lesen.
Der Fall Lambert bewegt Frankreich seit Jahren. «Er ist in Frankreich zu einem Symbol geworden für eine gesellschaftliche, ethische und auch politische Debatte über Sterbehilfe», so Korrespondent Liebherr. Der Fall sei vielschichtig, vor allem weil ein klar manifestierter Wille des Patienten selber fehle. «Dritte müssen seinen Willen interpretieren – und das eröffnet viel Spielraum, den Intellektuelle, Politiker, aber auch religiöse Kreise in ihrem Sinne zu nutzen versuchen, um die Debatte zu beeinflussen», so Liebherr.
Sterbehilfe-Debatte in Frankreich noch am Anfang
«Die Debatte über Sterbehilfe in Frankreich ist viel weniger weit fortgeschritten als beispielsweise in der Schweiz. Entsprechend fehlen auch klare gesetzliche Grundlagen», erklärt Liebherr weiter. Das Urteil des EGMR werde auch deshalb so aufmerksam verfolgt, weil es auf längere Sicht sicher einen Einfluss auf die Gesetzgebung in Frankreich haben werde.
Nur ein vorläufiger Schlusspunkt?
Mit dem heutigen Entscheid könnten die Ärzte nun dazu übergehen, die Ernährung Lamberts einzustellen und die Magensonde des früheren Krankenpflegers zu entfernen. Allerdings sei derzeit schwer abzuschätzen, ob es wirklich in nächster Zeit dazu kommt, so Liebherr.
«Die Entscheidfindung läuft seit Jahren, alle Gutachten sind nun auch schon einige Jahre alt.» Zudem sei der verantwortliche Arzt in der Zwischenzeit schon gar nicht mehr an dem Spital tätig, in dem Vincent Lambert am Leben gehalten wird.
«Genau genommen liegt es aber an diesem Arzt, den Sterbeprozess einzuleiten. Es stellt sich nun die Frage, ob das auch seine Kollegen tun können – ob sie das dürfen und auch wollen», erklärt der Frankreich-Korrespondent weiter.
Der Teil der Familie, der den Schwerbehinderten am Leben halten wolle, werde vor diesem Hintergrund vermutlich nochmals eine Neubeurteilung versuchen. «Es ist also eher wahrscheinlich, dass der Fall mit dem heutigen Urteil doch noch nicht abgeschlossen ist.»