Bis zuletzt war unklar, ob es zu einer Einigung kommt. Die Aussenminister Russlands, der USA, der Ukraine und die Aussenbeauftragte der EU liessen sich nicht in die Karten blicken. Nach einem siebenstündigen Verhandlungsmarathon folgte dann der Handschlag.
Konkret: Russland stimmt der Entwaffnung separatistischer Kräfte im Osten der Ukraine zu. Grundsätzlich sollten «alle illegitimen militärischen Formationen entwaffnet werden», sagte Lawrow vor Reportern in Genf. Zudem müssten alle besetzten Gebäude verlassen und den rechtmässigen Eigentümern zurückgegeben werden.
Beteiligten an bewaffneten Aktionen und Besetzern staatlicher Gebäude soll überdies eine Amnestie gewährt werden, ausser in Fällen von Kapitalverbrechen. Alle Seiten seien nun aufgerufen, von Gewalt Abstand zu nehmen, hob der russische Aussenminister hervor.
Obama skeptisch
US-Präsident Barack Obama nannte die Vereinbarung zwar «eine aussichtsreiche öffentliche Erklärung», doch angesichts der Erfahrungen in der Vergangenheit könne man nicht mit Sicherheit mit einer Verbesserung der Lage rechnen. «Ich glaube nicht, dass wir zu diesem Zeitpunkt über irgendetwas sicher sein können», sagte Obama in Washington.
Jetzt sei die Frage, ob Russland seinen Einfluss ausübe, damit in der Krisenregion wieder Recht und Ordnung hergestellt werden könne. Die USA werfen Moskau seit längerem vor, hinter den Separatisten in der Ostukraine zu stehen.
Angebot mit Hintergedanken
Skeptisch äusserte sich Andreas Zumach, SRF-Experte für Sicherheitspolitik und Diplomatie, über die Eergebnisse von Genf. Die Einigung sei mickrig, sagte Zumach. Sie lasse viel Interpretationsspielraum und deren Wert hänge von einer schnellen Umsetzung ab.
Auch SRF-Russlandkorrespondent Peter Gysling ist skeptisch. Denn: Die eigentlichen Beteiligten hätten in Genf nicht am Tisch gesessen. «Werden die pro-russischen Aktivisten im Osten des Landes tatsächlich bereit sein, ihre Waffen beispielsweise der ukrainischen Armee zu übergeben?»
Für Gysling steht fest, dass Lawrow noch etwas in der Hinterhand hat. Der russische Aussenminister spekuliere darauf, dass er bei Schwierigkeiten die guten Dienste der russischen Armee anbieten könne, die ganz in der Nähe der Grenze stationiert sei, um die Entwaffnung zu übernehmen. «Damit hätte Putin sein Ziel erreicht, eigene Truppen in der Ukraine zu stationieren.»
Jüngste Berichte aus der Ukraine bestätigen diese Befürchtungen. In der
Stadt Slawjansk im Osten fielen in der Nacht Schüsse, als ukrainische Regierungstruppen einen Posten prorussischer Uniformierter stürmten. Unbestätigten Berichten zufolge soll mindestens ein Mensch gestorben sein.
In Donezk haben sich pro-russische Separatisten laut Medienberichten erneut geweigert, ein besetztes Regierungsgebäude zu räumen. Sie zögen erst dann ab, wenn die Unterstützer der neuen Regierung ihr Lager auf dem Unabhängigkeitsplatz in Kiew aufgegeben hätten, erklärte einer der Anführer im Anschluss an die Einigung in Genf. Die Demonstranten auf dem Maidan in Kiew wollen ihrerseits ausharren, bis sie ihre Forderungen nach der Präsidentenwahl am 25. Mai erfüllt sehen.
Schlüsselrolle für OSZE
Die vier Parteien einigten sich zudem darauf, dass die Beobachtermission der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) bei der Umsetzung der Entspannungsmassnahmen eine führende Rolle spielen soll. Zurzeit präsidiert die Schweiz die internationale Organisation.
Bundespräsident Didier Burkhalter teilte in seiner Rolle als Vorsitzender mit, die OSZE sei bereit, die ihr zugesprochene Schlüsselrolle bei der Umsetzung der in Genf beschlossenen Massnahmen wahrzunehmen. «Ich zähle auf die finanzielle und personelle Unterstützung der Beobachtungsmission durch die internationale Gemeinschaft», wird Burkhalter in dem OSZE-Communiqué zitiert.
Das Eidgenössische Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA) hatte sich in einer ersten Reaktion erfreut gezeigt über die Genfer Einigung, die der OSZE-Beobachtermission eine grössere Bedeutung beimisst.
Die Erklärung von Genf im Wortlaut
«Das Genfer Treffen zur Situation in der Ukraine hat sich auf erste konkrete Schritte geeinigt, um die Spannungen zu deeskalieren und die Sicherheit für alle Bürger wieder herzustellen. Alle Seiten müssen jegliche Gewaltanwendung, Einschüchterungen und Provokationen unterlassen. Die Teilnehmer verurteilen aufs Schärfste alle Formen von Extremismus, Rassismus und religiöser Intoleranz, einschliesslich Antisemitismus. Alle illegalen bewaffneten Gruppen müssen entwaffnet werden. Alle illegal besetzen Gebäude müssen ihren legitimen Eigentümern zurückgegeben werden. Alle illegal besetzten Strassen, Plätze oder andere öffentliche Flächen in den ukrainischen Städten und Gemeinden müssen geräumt werden. Demonstranten, die ihre Waffen abgegeben und besetzte Häuser geräumt haben, wird eine Amnestie zugesichert - ausgenommen jenen, die schwerer Verbrechen überführt wurden. Vereinbart wurde zudem, dass die Beobachtermission der OSZE eine führende Rolle bei der Unterstützung der ukrainischen Behörden und Kommunen übernimmt, um diese Schritte zur Deeskalation in den kommenden Tagen dort auszuführen, wo sie am notwendigsten sind. Die USA, die EU und Russland verpflichten sich, diese Mission zu unterstützen, auch mit der Bereitstellung von Beobachtern. Der angekündigte Verfassungsprozess wird transparent sein und niemanden ausgrenzen. Dazu gehört ein sofortiger, breiter nationaler Dialog, der alle ukrainischen Regionen und politischen Körperschaften erreicht und Möglichkeiten zu öffentlichen Kommentierungen und Verbesserungsvorschlägen eröffnet. Die Teilnehmer unterstreichen die Wichtigkeit der wirtschaftlichen und finanziellen Stabilität der Ukraine und stehen bereit für weitere Hilfe bei der Umsetzung der oben genannten Schritte.» |