Die Insel Marajó ist etwa so gross wie die Schweiz. In einem farbigen Holzboot rudern wir durch den Mangrovenwald. Meterhoch ragen die Wurzeln der Bäume aus dem Wasser.
Am Ruder ist der Fischer Raimundo Lima. Daneben sitzt sein Sohn Henan. Er setzt auf ökologischen Tourismus. Zusammen mit seinen Eltern führt er Leute in die Mangroven. Bevor das möglich war, hätten sie hier zuerst Tonnen von angeschwemmtem Plastik entfernen müssen, erklärt Henan.
Es ist halb sechs am Morgen. In weiter Ferne rufen Brüllaffen. Dann eine bedrohte Vogelart, der Gavion Vermelhu. Raimundo lockt ihn mit Pfeifen an.
Göldi-Museum im brasilianischen Belém
Mit auf dem Boot ist auch Lucas Araujo. Er ist Wissenschaftler am Museum Göldi in Belém, eine bekannte Institution mit Museum, Zoo, Forschungsinstituten und mehreren hundert Mitarbeitern. Benannt ist das Museum nach Emil Göldi aus dem Toggenburg. Zusammen mit Jakob Huber aus dem Kanton Schaffhausen machte er hier viele Exkursionen.
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Auf seinem Handy zeigt Araujo einige Seiten aus Hubers Tagebuch. Es sind Zeichnungen der Mangroven, Karten der Flusswindungen, eine Liste der gesichteten Pflanzenarten.
Vor 150 Jahren waren hier also schon mal zwei Schweizer. Der Fischer und sein Sohn können das kaum glauben. Göldi befasste sich mit Zoologie, Geologie, Archäologie, Huber vor allem mit Botanik. Allein auf einer Reise konnte Huber Dutzende neue Arten entdecken.
Was sie mit ihren Helfern sammelten, tauschten die Forscher dann mit anderen Museen aus.
Tausende Objekte in Berner Museum
Im Naturhistorischen Museum Bern etwa lagert in Absprache mit Brasilien seit jener Zeit eine Parallelsammlung mit 14’000 Objekten: Herbarien, Häute von Säugetieren, Affenköpfe und Vogelbälge. Allein auf einer Reise liessen sie Hunderte von Vögeln fangen und präparieren.
Göldi und Huber brachten auch Tiere in den Zoo nach Belém: Jaguare, Gürteltiere. Ein Tapir gelangte sogar bis in den Zoo von Basel. Meist aber starben die Tiere schon nach kurzer Zeit, weil man damals nicht wusste, wie sie zu halten sind.
Dass die Forscher so viele Tiere schiessen liessen, verwundert Raimundo und Henan Lima. Denn viele dieser Tiere sind selten geworden.
In den Mangroven gibt es noch viele Tiere
Belém ist unterdessen eine Zwei-Millionen-Metropole. Zahllose Strassen führen in den Amazonas. Entlang dieser Strassen breiten sich Siedlungen aus, riesige Flächen sind abgeholzt. Von Belém aus fährt ein Frachtschiff nach dem anderen los, voll mit Sojabohnen oder mit Tausenden lebenden Rindern, gemästet für den Weltmarkt.
Und dennoch: In den Mangroven sehe er die Tiere immer noch, sagt Fischer Raimundo. «Jaguare, Gürteltiere, Agutis, Füchse, kleine Raubkatzen und natürlich die Anakondas.»
Die kleinen Jungtiere, 3 bis 4 Meter lang, sehe er in den Mangroven, die erwachsenen, bis zu 8 Meter langen Schlangen hingegen sehe er am Fluss. Dort liegen sie dann und verdauen etwa ein Wasserschwein, eine Art grosses Meerschweinchen.
Die Familie Lima lebt jetzt auch vom ökologischen Tourismus. Der fusst auf dem Wald, den Pflanzen und den Würmern in den Baumstämmen, die hier als Spezialität gelten. «Die Natur gibt uns das alles umsonst», sagt Henan. Er könne nicht verstehen, warum der Mensch hier im Amazonas seine eigene Lebensgrundlage zerstöre.