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International Suki Kim – ein Semester Englisch für Nordkoreas Elite

An der einzigen privaten Universität Nordkoreas, der «Pyongyang University of Science and Technology», studiert die künftige Elite des Landes. Suki Kim, eine amerikanische Schriftstellerin mit koreanischen Wurzeln, hat dort ein Semester lang unterrichtet – und ein Buch darüber geschrieben.

SRF News: Suki Kim, wie war es überhaupt möglich, dass Sie als US-Amerikanerin in Nordkorea unterrichten?

Suki Kim: Da gab es diese Organisation, die sich schon länger in Nordkorea engagierte. Sie baute die Universität, die vor fünf Jahren eröffnet wurde. Und schliesslich wurde ich als Dozentin an der Schule akzeptiert, weil ich ja nur Romane und Features schreibe und deshalb nicht für eine News-Journalistin gehalten wurde – was ich ja auch nicht bin.

Evangelikale Christen führen die Universität. Aber Christen werden in Nordkorea doch verfolgt?

Suki Kim

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Legende: zvg

Suki Kim ist mit 13 Jahren mit ihren Eltern von Seoul nach New York ausgewandert. Seit 2002 ist sie als Journalistin und Schriftstellerin tätig. In ihrem neuesten Werk, «Without You, There Is No Us», schildert sie ihre Erfahrungen als Englischlehrerin an einer Elite-Universität in Nordkorea.

Diese evangelikalen Christen kooperieren mit dem Regime. Sie investierten 35 Millionen in die Universität und erziehen die Elite des Landes. Den Staat kostet das keinen Rappen. Zum Deal gehört auch, dass sie nicht missionieren dürfen. Aber die Betreiber der Uni sehen das als Zukunftsinvestition: Wenn das Führersystem dereinst zusammenbricht und eine verletzliche Gesellschaft zurückbleibt, sind die Christen schon vor Ort. So gesehen ist ihr Engagement nachvollziehbar.

Sie unterrichteten an der Universität Englisch. Was ist der grösste Unterschied zu amerikanischen Schulstuben?

Das war ein riesiger Unterschied, denn eigentlich ist die dortige Universität ein Gefängnis: Alle werden rund um die Uhr von Soldaten überwacht. Erst mit der Zeit realisierte ich, wie komplex das Ganze ist. Da sassen scheinbar gewöhnliche 19-jährige Studenten, alles Männer. Sie zu unterrichten war äusserst schwierig.

Sie logen dauernd.

Sie logen zum Beispiel dauernd. Fast unmöglich war es auch, ihnen das Schreiben von Aufsätzen beizubringen. Denn da muss eine These mit Argumenten untermauert werden. Aber eine eigene Meinung und kritisches Denken haben keinen Platz in einem System mit einem Grossen Führer.

Worüber haben die Studenten dauernd gelogen?

Sie logen über alles Mögliche. Aber häufig hatte es mit dem System zu tun. Da gab es zum Beispiel diesen Turm zu Ehren des Grossen Führers. Dessen Sockel mussten sie regelmässig putzen. Das stritten sie ab, obwohl ich sie dabei beobachtet hatte. Auch behaupteten sie, sie hätten in der fünften Klasse einen Hasen geklont.

Ich habe sie persönliche Briefe schreiben lassen.

Konstant wurde Staatspropaganda nachgebetet: Koreanisch sei die bedeutendste Sprache der Welt, weil es die Sprache der bedeutendsten Nation sei. Dinge, an die sie vermutlich selber nicht glauben. Ich hatte oft das Gefühl, dass Lügen für sie gar nichts Schlechtes ist. Denn eigentlich ist ja alles in ihrem Leben eine Lüge.

Sie haben auf dem Campus gelebt und dreimal täglich mit den Studenten gegessen. Wie gut haben sie ihre Studenten kennengelernt?

Audio
«Informatikstudenten wussten nicht, dass es das Internet gibt»
aus Echo der Zeit vom 20.03.2015. Bild: ZVG
abspielen. Laufzeit 6 Minuten 40 Sekunden.

Im Alltag begannen die Fassaden zu bröckeln. Um sie besser kennenzulernen, habe ich sie im Unterricht persönliche Briefe schreiben lassen. Zuerst schrieben sie nur über den Grossen Führer. Das änderte sich mit der Zeit. Schliesslich waren sie erst 19. Und weil wir den Campus nicht verlassen durften, wurde ich für sie immer mehr zu einer Art Freund oder Mutterfigur. Am Ende des Aufenthalts kamen wir uns wohl so nahe, wie es die Verhältnisse überhaupt zuliessen.

Wussten ihre Studenten etwas über die Welt ausserhalb Nordkoreas?

Einige schon, andere nicht. Sie wussten zum Beispiel nicht, dass es das Internet gibt. Dabei studierten ein paar von ihnen Informatik. Einige ahnten wohl, dass etwas faul ist in ihrer Welt. Aber wenn sie verbotene Filme anschauten, ergaben diese wohl wenig Sinn für sie. Sie waren völlig ratlos, als ich ihnen ein Bild des Eiffelturms zeigte oder die Beatles und Michael Jackson erwähnte.

Sie waren völlig ratlos, als ich ihnen ein Bild des Eiffelturms zeigte.

Als im Englisch-Lehrmittel die Economy-Klasse im Flugzeug erwähnt wurde, glaubten sie, es handle sich um einen Schulungsraum für Wirtschaftsstudenten in einem Flieger. Sie lernen nichts über die Welt. In ihren Medien geht es nur um den Grossen Führer. Sogar über das eigenen Land gibt es ein Informationsvakuum. Für eine Reise in eine andere Stadt braucht es eine Bewilligung. Meine Studenten waren nie ausserhalb ihrer Stadt, obwohl sie zur Elite gehören.

In der nordkoreanischen Diktatur hören Englischkenntnisse vermutlich nicht zu den erforderlichen Fertigkeiten. Weshalb also haben ihre Studenten Englisch gelernt?

Das ist schwierig zu beantworten. Die positive Vermutung ist, dass sie doch irgendwie befähigt werden sollen, die Welt zu verstehen. Zudem ist Nordkorea bekannt für Computer-Hacking, wofür Englischkenntnisse nötig sind. Damit liesse sich auch erklären, warum Studenten an einer technischen Uni derart gut Englisch lernen.

Ein Alltag unter ständiger Beobachtung und Kontrolle, dazu die ständigen Lügen. Sind Sie da nicht manchmal wütend geworden?

Ja klar, gegen Ende meines Aufenthalts habe ich ständig geträumt, ich müsse mich übergeben. Dies wohl, weil die totale Überwachung einen erstickt und depressiv macht. Ich habe es fast nicht mehr ausgehalten.

Das Interview führte Roman Fillinger.

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