Zum Inhalt springen
Audio
Trotz russischen Ankündigungen – es wird weiter gebombt
Aus Echo der Zeit vom 29.03.2022. Bild: Reuters
abspielen. Laufzeit 3 Minuten 53 Sekunden.

Verhandlungen in Istanbul «Moskau ist keinen Millimeter von seinen Forderungen abgerückt»

Bei den Verhandlungen zwischen Moskau und Kiew in Istanbul hat die Ukraine angeboten, künftig neutral zu sein und darauf zu verzichten, die Gebiete im Osten und die Krim militärisch zurückzuerobern.

Russland seinerseits hat angekündigt, seine militärischen Aktivitäten zu reduzieren, zum Beispiel bei Kiew. SRF-Korrespondent David Nauer befindet sich im Westen der Ukraine. Er ist äusserst skeptisch, was die russischen Ankündigungen angeht.

David Nauer

Ukraine- und Russland-Korrespondent

Personen-Box aufklappen Personen-Box zuklappen

David Nauer ist Ukraine- und Russland-Korrespondent bei SRF TV. Von 2016 bis 2021 war er als Radio-Korrespondent in Russland tätig. Zuvor war er Russland-Korrespondent des «Tages-Anzeigers». Nauer reist seit Beginn des russischen Angriffskriegs regelmässig in die Ukraine.

Hier finden Sie weitere Artikel von David Nauer und Informationen zu seiner Person.

SRF News: Wie sind die Ergebnisse der Gespräche von Istanbul einzuordnen?

David Nauer: Grundsätzlich sind es positive Nachrichten. Erstmals seit Kriegsausbruch am 24. Februar hat man das Gefühl, dass etwas in Bewegung kommt. Die Ukraine bietet an, den Russen weit entgegenzukommen – beim Nato-Beitritt oder bei den russisch besetzten Gebieten Krim und Donbass. Man spürt von den Ukrainern einen Willen zur Einigung.

Die russische Armee steckt vor Kiew fest.
Autor:

Die Russen ihrerseits kündigen erstmals eine Deeskalation an, indem sie Kiew nicht mehr länger angreifen wollen. Das ist allerdings ein erzwungenes Zugeständnis, denn die russische Armee steckt vor Kiew fest.

Verhandeln und bomben

Box aufklappen Box zuklappen

Nach dem Treffen ukrainischer und russischer Unterhändler am Dienstag in Istanbul sprach der russische Vertreter Wladimir Medinski von «konstruktiven Gesprächen». Als «vertrauensbildende Massnahme» kündigte das Verteidigungsministerium in Moskau an, die militärische Aktivität rund um Kiew und Tschernihiw drastisch zu verringern.

Die Ukraine ihrerseits bot ihre Neutralität und den Verzicht auf einen Nato-Beitritt an. Als Garantieländer werden etwa Israel, die Türkei, Kanada und Polen genannt. Zudem sollte für die von Russland 2014 annektierte ukrainische Halbinsel Krim eine 15-jährige Prüfphase vereinbart werden. Die Ukraine würde nicht der Nato beitreten und auf die Schaffung ausländischer Militärbasen im Land verzichten.

Laut dem Russen Medinski werden die Vorschläge der Ukraine an Präsident Wladimir Putin übermittelt. Die Verringerung des Militäreinsatzes sei einer von zwei Schritten, die Moskau zur Deeskalation unternehme. Der zweite sei ein Treffen Putins mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodimir Selenski. Dieses sei nur möglich, wenn zuvor eine Vereinbarung zwischen den Aussenministern beider Länder erzielt worden sei.

Ungeachtet der Verhandlungen in Istanbul setzten die russischen Truppen ihr Bombardement in der Ukraine auch am Dienstag fort. So sei ein grosses Treibstofflager der ukrainischen Streitkräfte in der nordwestlichen Region Riwne mit Marschflugkörpern zerstört worden, meldete die russische Nachrichtenagentur Interfax unter Berufung auf das russische Verteidigungsministerium. Und nach ukrainischen Angaben wurden sieben Menschen getötet, als eine russische Rakete das Gebäude der Regionalverwaltung in der südukrainischen Stadt Mykolaiw traf. (reuters)

Wie fallen die Reaktionen in der Ukraine aus?

Persönlich habe ich hier im Westen der Ukraine noch nichts vom angekündigten russischen Willen zur Deeskalation gespürt – falls es diesen Willen überhaupt gibt. Alleine heute erlebte ich dreimal einen Luftalarm; die Russen schiessen also offenbar immer noch Raketen auf die Westukraine ab.

Ukrainische Intellektuelle sagen, den Russen jetzt entgegenzukommen, sei ein grosser Fehler – der Kreml würde bloss seine Kräfte sammeln und die Ukraine bald erneut angreifen.
Autor:

Ich habe heute mit ukrainischen Intellektuellen gesprochen und sie sagen, es bringe nichts, den Russen jetzt entgegenzukommen, das sei ein grosser Fehler. Der Kreml würde in diesem Fall bloss die Zeit nutzen, um seine Kräfte zu sammeln und in ein paar Monaten oder Jahren die Ukraine erneut anzugreifen.

Ukrainische Gesandte von Medienleuten belagert.
Legende: Die ukrainischen Abgesandten in Istanbul informieren die Medien nach den Gesprächen mit der russischen Seite über die Ergebnisse. Keystone

Sind sich die Delegationen in Istanbul auch in den grossen Fragen entgegengekommen, etwa, was eine Demilitarisierung der Ukraine angeht?

Nein – wie auch bei den anderen grossen Fragen nicht. Es bleiben viel mehr Fragen ungeklärt als geklärt. Das hat auch damit zu tun, dass die Russen bisher beim Kern ihrer Forderungen keinen Millimeter abgerückt sind. Aus Moskau hiess es heute erneut, die Ukraine müsse «demilitarisiert und entnazifiziert» werden, was immer letzteres bedeuten soll.

Die Russen haben keineswegs vor, die eroberten Gebiete wieder herzugeben – das ist nicht nur völkerrechtswidrig, die Ukraine würde faktisch kapitulieren, wenn sie dies akzeptieren würde.
Autor:

Darüber hinaus haben die Russen keineswegs vor, die von ihnen in den letzten Wochen eroberten Gebiete wieder herzugeben. Sie wollen sie offensichtlich besetzt halten. Das ist nicht nur völkerrechtswidrig, die Ukraine würde faktisch kapitulieren, wenn sie dies akzeptieren würde. Für eine Lösung der vielen ungeklärten Fragen müsste Moskau wirkliche Schritte der Deeskalation unternehmen und auf Forderungen verzichten, die für die Ukraine schlicht nicht hinnehmbar sind. Bislang sehe ich diesen Willen in Moskau nicht.

Das Gespräch führte Christina Scheidegger.

SRF 4 News, Echo der Zeit vom 29.3.2022, 18:00 Uhr ; 

Jederzeit top informiert!
Erhalten Sie alle News-Highlights direkt per Browser-Push und bleiben Sie immer auf dem Laufenden.
Schliessen

Jederzeit top informiert!

Erhalten Sie alle News-Highlights direkt per Browser-Push und bleiben Sie immer auf dem Laufenden. Mehr

Push-Benachrichtigungen sind kurze Hinweise auf Ihrem Bildschirm mit den wichtigsten Nachrichten - unabhängig davon, ob srf.ch gerade geöffnet ist oder nicht. Klicken Sie auf einen der Hinweise, so gelangen Sie zum entsprechenden Artikel. Sie können diese Mitteilungen jederzeit wieder deaktivieren. Weniger

Sie haben diesen Hinweis zur Aktivierung von Browser-Push-Mitteilungen bereits mehrfach ausgeblendet. Wollen Sie diesen Hinweis permanent ausblenden oder in einigen Wochen nochmals daran erinnert werden?

Meistgelesene Artikel