Der Chef des linken Parteienbündnisses Syriza, Alexis Tsipras, will die vereinbarten Reformauflagen kippen, die Griechenland mit der sogenannten Troika aus EU, Zentralbank und Währungsfonds vereinbart hat. Nach dem Wahlsieg sagte Tsipras, die Troika sei Geschichte. Wenn es tatsächlich so kommt, wäre Griechenland das erste Land, welches die Sparpolitik der Eurozone explizit zurückweist.
Über die Bedeutung eines solchen Schrittes nimmt Heribert Dieter von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin in einem Gespräch mit SRF Stellung.
SRF News: Wie stark gefährdet der Wahlausgang den Konsens über die Sparpolitik?
Heribert Dieter: Er gefährdet ihn sehr, weil wir in anderen europäischen Ländern wie beispielsweise in Italien schon seit längerem ebenfalls eine Diskussion haben über den Nutzen der Sparpolitik. Insofern werden die Kräfte in anderen europäischen Ländern, welche die Einschätzungen von Tspiras teilen, Aufwind bekommen.
Sie haben es angesprochen, es gibt andere Euro-Länder, deren Regierungen an der Sparpolitik zweifeln. Wie sehr stärkt ihnen der griechische Wahlausgang den Rücken?
Die Frage ist: Wie kann man Wachstum wieder anfachen? Da gibt es eben zwei Schulen. Die eine sagt, wir müssen die Hausaufgaben machen. Das ist die nordeuropäische, deutsche Schule. Die andere Schule sagt, wir müssen zunächst einmal die Konjunktur wieder durch stärkere Staatsausgaben stärken. Hier wir die Diskussion in den nächsten Wochen an Dynamik gewinnen.
Wir werden in den nächsten Tagen sehen, wie die Dinge sich in Griechenland entwickeln. Tsipras will einen Schuldenschnitt, und das ginge auf Kosten anderer Steuerzahler. Das wir ausgesprochen schwierig, weil Griechenland heute – obwohl der Schuldenstand sehr hoch ist – geringere Zinssätze zahlt als Deutschland. Andere, ärmere Länder subventionieren heute schon Griechenland. Es ist nicht klar, was Tsipras da kurzfristig noch erreichen möchte.
Deutschland hat immer auf einen rigorosen Sparkurs gedrängt. Was bedeutet der Wahlausgang für Deutschlands Rolle in der EU?
Es gibt ja nicht nur die deutsche Stimme, die mahnt, dass eine nachhaltige Finanzpolitik zu betreiben ist. Auch andere Länder drängen darauf. Der finnische Präsident sagte in der vergangenen Woche, dass ein Forderungsverzicht – und das wäre ja sozusagen die Absage an eine Sparpolitik – politisch und ökonomisch unmöglich sei. Es gibt eine ganze Reihe von Ländern, die diese etwas lockere Sparpolitik kritisch sehen.
Deutschlands Rolle wird durch den Wahlsieg Tsipras zunächst einmal sicherlich nicht gestärkt. Die Frage wird sein, ob Tsipras seine selbstgesteckten Ziele in den Verhandlungen erreichen wird oder nicht. Ich glaube, dass er von seinen im Wahlkampf gemachten vollmundigen Ankündigungen doch einiges wird zurücknehmen müssen.
Ist denn dieser Schuldenschnitt mehr als nur Wunschdenken?
Ich meine, es ist unmöglich, noch einen weiteren Schuldenschnitt zu machen. Wir haben ja bereits einen: Griechenland hat einen hohen Schuldenstand, zahlt aber relativ geringe Zinsen auf die Schulden und wird auch vor dem Jahr 2020 überhaupt keine Tilgungsleistungen machen müssen. Also wird die Frage sein: Kann Tsipras durchsetzen, dass die anderen europäischen Steuerzahler den griechischen Staat noch mehr subventionieren, über das Mass hinaus, das bereits jetzt vereinbart ist? Das wird ausserordentlich schwierig. Der IWF macht sowieso nie Zugeständnisse; er besteht immer auf der vollständigen Bedienung seiner Kredite. Und die EZB kann das im Grunde auch nicht.
Es wird also schwierig für Tspiras. Könnte das heissen, es ändert sich gar nicht so viel?
Tspiras kann mit dem gegenwärtigen Ergebnis zufrieden sein. Die zentrale Frage ist: Warum investieren die Griechen selber nicht in Griechenland? Man spricht ja davon, dass alleine in der Schweiz 280 Milliarden Euro geparkt sind. Diese Frage muss Tspiras beantworten. Warum haben die eigenen Landleute kein Interesse daran, in Griechenland zu investieren? Diese Frage ist wichtiger als die Frage über eine weitere Lockerung des Schuldendienstes.
Vor diesen Problemen steht die Regierung
Arbeitslosigkeit | Das grösste Problem. Zuletzt waren 26,7 Prozent arbeitslos gemeldet – Rekord in der EU. Die Jugendarbeitslosigkeit (15- bis 24-Jährige) liegt sogar bei um die 50 Prozent. |
Schulden | Der Schuldenberg dürfte 2014 auf 175 Prozent des BIP gestiegen sein. Die EU-Regeln sehen eigentlich eine Grenze von 60 Prozent vor. Immerhin: Die abgewählte Regierung hat die Neuverschuldung drücken können: Von einem Defizit von rund 12 Prozent 2013 auf knapp 2 Prozent 2014. |
Steuern | Gähnende Leere in den Staatskassen. Allein im Januar soll eine Milliarde Euro fehlen – vor der Wahl beglichen viele Steuerzahler offenbar ihre Schulden nicht. Die neue Regierung kann somit die anfallenden Zinszahlungen nicht abzahlen. Im Sommer dürfte der Staat bankrott sein, dann stehen Schuldenrückzahlungen von 6,5 Milliarden Euro an. |
Konjunktur | Hier gibt es Licht am Horizont. Die Wirtschaft wuchs zuletzt so stark wie in keinem anderen Euro-Land. Auch für dieses Jahr ist ein Wachstum von fast 3 Prozent prognostiziert. |
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