Irgendwann im September ist es soweit gewesen: der 8. Millionste Bewohner der Schweiz erblickte das Licht der Welt. Einer soliden Welt, versteht sich. Mit intakten sozialen, ökonomischen und ökologischen Strukturen. Seither sind noch einmal rund 13'000 dazu gekommen.
Wir müssen unsere Selbstwahrnehmung korrigieren
Geht die Entwicklung so weiter, werden es bis in 50 Jahren zehn bis elf Millionen Einwohner sein. Um dieses Wachstum aufzufangen und die Lebensqualität aufrecht zu erhalten, müssen Anstrengungen unternommen werden. Sozialpolitische, strukturelle, verkehrspolitische und nicht zuletzt ökologische Massnahmen.
Ob wir allerdings mental bereit sind, eine so grosse Gemeinschaft zu werden, bezweifelt zumindest der Bevölkerungssoziologe François Höpfliger. Ein Problem sieht Höpfliger im Graben zwischen unserer Selbstwahrnehmung und der Realität. «Wir sehen uns als ländliche Gesellschaft, das heisst, wir haben einen nostalgischen Rückblick auf eine Schweiz, die es gar nie gab und gleichzeitig haben wir Mühe mit Urbanität», sagt Höpfliger in der «Tagesschau».
Damit der Soziale Friede dem Wachstum standhält, müssen wir vor allem unseren gemeinsamen Raum sinnvoll strukturieren. Nur wenn es uns laut Höpfliger gelingt, mit einer «gezielten Strategie der Durchmischung» die Bildung von einkommensabhängigen Gettos zu verhindern, können 11 Millionen Menschen in der Schweiz gut zusammenleben.
Für ebenso wichtig hält Höpfliger aber die Disziplin. Wir benötigten eine Struktur, die mit Unterschieden umgehen könne, sagt der Soziologe. Und dies bedinge, dass wir lernen würden unsere Aggressionen im Zaum zu halten. Überdies müsse aber auch in der Wohnungspolitik auf das Wachstum reagiert werden.
«Denkbare Modelle kommen zurzeit in Singapur und London zur Anwendung. Reiche und weniger begüterte teilen sich die gleichen Quartiere. Und sie lernen sich bei öffentlichen Mittagstischen und Quartierveranstaltungen gegenseitig kennen», erklärt Höpfliger.
Wachstum kann eine Chance sein
Gar als Chance gewertet wird die Aussicht auf 11 Millionen Einwohner vom Zukunftsforscher Georges T. Roos. Da die jetzigen Wachstumszentren bald an ihre Grenzen stossen würden, könnten die heute mittelgrossen Städte die neuen attraktiven Zuwanderungsorte werden.
«Damit wächst aber auch das Bildungspotential, die Kreativität und die Innovation in diesen Gebieten und das kann sich auch auf die Arbeitsplätze auswirken», sagt Roos. Die Chance steigt, dass die Notwendigkeit des Pendelns massiv kleiner wird.
Standort-Attraktivität bleibt zentral
Das gegenwärtige Wachstum macht das Eintreffen dieser Herausforderungen plausibel. Dabei haben sich die Wachstums-Tendenzen der vergangenen Jahre kaum geändert. Hohe Zuwachsraten in den Steueroasen Zug und Schwyz sowie in der Genfersee-Region.
Einzig im Kanton Basel-Stadt wies das Bevölkerungswachstum über die letzten 20 Jahren ein Minuswachstum auf. Über die Grossregionen und einen längeren Zeitraum betrachtet, gewärtigen die Demographen allerdings eine mehr oder weniger gleichmässige Entwicklung.
In wie weit die gegenwärtige Entwicklung tatsächlich die nächsten 50 Jahre anhält, hängt gemäss François Höpfliger von verschiedenen Faktoren ab. Nicht zuletzt ginge es darum, welche politischen Entscheidungen wir in Zukunft treffen. Und ob diese weiterhin dafür sorgen würden, dass die Schweiz ein attraktives Einwanderungsland bleibt. Die Mechanismen dabei sind für Höpfliger klar: «Unattraktiv sind erfahrungsgemäss Länder, deren Bevölkerungswachstum rückläufig ist.»