Madeleine Betschart sitzt im Arbeitszimmer von Friedrich Dürrenmatt, hoch über Neuenburg. Auf dem schweren Schreibtisch des Schriftstellers liegen Papierstapel, Bücher, eine Pfeife. Es wirkt, als wäre Dürrenmatt nur kurz weg. Für Betschart endet hier bald ein Lebensabschnitt: Nach zehn Jahren als Direktorin des Centre Dürrenmatt geht sie Ende Jahr in Pension.
«Wie viele Schweizerinnen und Schweizer habe ich Dürrenmatt im Gymnasium gelesen», sagt Betschart. Später entdeckte sie seine Bilder – für sie wie für viele eine Überraschung.
Denn Dürrenmatt zeigte seine Bilder kaum öffentlich und verkaufte sie auch nicht. «Ich habe sofort gesehen, dass die Themen aus der Literatur auch in den Bildern da sind: Vietnamkrieg, Prager Frühling, Apartheid.»
Die Schlachtfelder literarischer Kämpfe
Im Zentrum von Betscharts Arbeit in Neuenburg stand die Frage: Wie hängen Text und Bild bei Dürrenmatt zusammen? Die Antwort fand sie auch hier, im Büro. Auf dem Tisch lagen immer zwei Papierstapel: einer zum Schreiben, einer zum Zeichnen.
Schreiben und Malen haben sich gegenseitig bereichert.
Dürrenmatt sagte selbst: «Meine Zeichnungen sind nicht Nebenarbeiten zu meinen literarischen Werken, sondern die gezeichneten und gemalten Schlachtfelder, auf denen sich meine schriftstellerischen Kämpfe, Abenteuer, Experimente und Niederlagen abspielen.» Betschart ist diesem Wechselspiel nachgegangen: «Motive, die in Dürrenmatts Literatur vorkommen, finden sich in den Bildern und umgekehrt. Schreiben und Malen haben sich gegenseitig bereichert.»
Dürrenmatt bleibt aktuell
Dürrenmatt war ein engagierter Künstler. Er hat immer wieder Stellung bezogen zum Weltgeschehen. Atomwaffen, Rassismus, Frauenrechte, Ungleichheit oder Umweltverschmutzung waren Themen, die ihn umtrieben. «Er sah sich nicht als Therapeut, sondern als Diagnostiker», sagt Betschart. Ein Diagnostiker, der seine Befunde gerne ins Groteske überzeichnete und so zugänglich machte.
Dürrenmatts Werk treffe auch 35 Jahre nach seinem Tod noch einen Nerv, sagt Madeleine Betschart. Das sehe sie bei den vielen Jugendlichen, die mit ihren Schulklassen das Centre Dürrenmatt besuchten.
Insbesondere Dürrenmatts Texte zur Schweiz lohnten eine erneute Lektüre, findet sie. Als Beispiel erwähnt Betschart «F.C. Helvetia 1291». «Da wird die Schweiz zu einem Fussballclub, der nur noch aus Verteidigern besteht. Wer die Mittellinie überschreitet, wird sofort zurückgepfiffen. Solche starken Bilder regen auch heute noch zum Nachdenken an.»
Eine Überdosis Dürrenmatt?
Vor ihrer Zeit als Direktorin des Centre Dürrenmatt leitete die Archäologin und Kunsthistorikerin Betschart unter anderem das Alimentarium in Vevey oder das Museum Schwab in Biel. Hat sie den Fokus auf einen einzigen Künstler nicht als einschränkend empfunden? Betschart schüttelt den Kopf. Die Vielfalt in Dürrenmatts Werk sei so gross, dass ihr die Themen für neue Ausstellungen rund um Dürrenmatt nie ausgegangen seien.
Für die Zeit nach ihrer Pensionierung per Ende Jahr hat Betschart noch keine konkreten Pläne. Sicher ist: Friedrich Dürrenmatt wird bei ihr weiter eine Rolle spielen. «Ich kann das Universum Dürrenmatt gar nicht verlassen.»