Seit acht Jahren kaut das Parlament an der Idee einer Notfallpauschale – einem 50-Franken-Betrag, der zusätzlich zum Selbstbehalt zu bezahlen ist. Das soll Patientinnen und Patienten abschrecken, wegen Kleinigkeiten in eine Notaufnahme zu gehen und diese entlasten.
In acht Jahren erreichte die Politik nichts. Die Notfallzentren bleiben voll, ihre Entlastung bleibt ungelöst. Für die Notaufnahme des Spitals Burgdorf ist klar: Eine solche Notfallpauschale für Bagatellfälle wollen sie nicht.
Bagatelle?
Was ist überhaupt eine Bagatelle? Das müsse man die Politik fragen, die das wolle, sagt Oberärztin Simone Blunier am Spital in Burgdorf. Menschen, die wegen einer Kleinigkeit die Notfallstation aufsuchten, gebe es bei ihnen gar nicht. Jeder Fall hier sei ein Notfall. Alles andere käme einer Bevormundung der Patienten gleich.
Würde sie heute jemanden nach Hause schicken wegen ein wenig Bauchweh, aber morgen operiere man dann doch den entzündenden Blinddarm, «was ist es dann?», fragt Blunier.
Wie eine Pauschale für Bagatellfälle überhaupt abgerechnet werden würde, mag sie sich gar nicht vorstellen. Aufwand und Ertrag stünden in keinem guten Verhältnis.
Wie im Parkhaus: zuerst zahlen, sonst kriegt man keinen Platz. Ich weiss nicht, was uns das bringen sollte.
Ebenfalls nichts von einer Notfallpauschale hält Christiane Arnold, Leitende Ärztin im Notfallzentrum des Spitals in Burgdorf. Wer komme, der komme. Das würde gegen eine Lenkungswirkung sprechen, die sich die Politik erhofft.
Für Arnold ist eine solche Pauschale zudem unfair. Es wäre «wie im Parkhaus: zuerst zahlen, sonst kriegt man keinen Platz. Ich weiss nicht, was uns das bringen sollte.»
Es widerstrebe auch ihrem Arbeitsethos und ihrem Sinn für Gerechtigkeit. Zudem habe eine solche Pauschale im Schweizer Gesundheitssystem keinen Platz, so Arnold.
Notfallstationen sind beliebt
Rebekka Steffen ist Notfallpflegerin im Spital in Burgdorf. Sie hat den Triage-Blick, teilt Patientinnen und Patienten auf der Notfallaufnahme in dringende und nicht-dringende Fälle ein. «Ich sehe rasch, wie der Zustand einer Person ist.»
Wir müssen mit Bagatellfällen umgehen können, auch wenn sie das System überlasten.
Steffen wäge ab, schätze Patientinnen und Patienten ein und habe sich ein Gespür dafür angeeignet, ob jemand stark leide oder nur wegen einer Kleinigkeit hier sei. Sie sagt: «Wir müssen mit Bagatellfällen umgehen können, auch wenn sie das System überlasten.»
Wer kommt, wird auf der Notfallstation medizinisch umfassender abgeklärt als vielleicht beim Hausarzt, beim Telefon-Doktor oder in der Apotheke. Das macht die Notfallstation attraktiv – und zum Opfer des eigenen medizinischen Angebots.
Auch in Burgdorf scheint die Notaufnahme beliebt zu sein. Seit Jahren zählt sie immer mehr Patientinnen und Patienten und somit auch mehr nicht-dringende, leichte Fälle – wie vielleicht dieser Mann?
In einer der Kojen liegt ein älterer Herr. Er kam wegen Schmerzen im Brustbereich. «Bevor mich jemand irgendwo zusammenlesen muss, dachte ich, ich komme es abklären.» Es ist alles gut mit seinem Herz. Liegt da also ein Bagatellfall im Bett?
«Wer soll das entscheiden?», fragt der Mann zurück. Zudem: Gäbe es eine Pauschale, wäre es für ihn nicht die Welt. Er müsste sie ohnehin nicht bezahlen. Der Hausarzt hatte ihn überwiesen.
Ärztin Arnold verabschiedet ihn. Die Koje ist bald leer, zwei neue Patienten sind aber bereits angekündigt. Sie kommen, die Gebühr bei Bagatellfällen hingegen kommt weiterhin nicht – und vorerst auch keine andere Lösung zur Entlastung der Notfallstationen.