Die Ausgangslage: Wer von der Monbijoubrücke in Bern den Blick Richtung Gurten schweifen lässt, entdeckt ein buntes Durcheinander: die Aare, eine weitläufige Industriebrache. Dazu verwaiste Parkplätze, das legendäre Jugendzentrum Gaskessel, heruntergekommene Häuser, ein grünes Baummeer – und seit Kurzem ein temporäres Schulhaus.
Die Pläne für das Quartier: Auf dem Areal will die Stadt Bern ein neues Quartier mit rund 500 Wohnungen und vielen Grünflächen bauen. Die Mieten sollen bezahlbar sein: Denn mindestens die Hälfte der Wohnungen müssen Genossenschaften bauen. Ein weiteres Viertel ist als «preisgünstiger Wohnraum» der Stadt vorgesehen. Ursprüngliche Bauten wie die denkmalgeschützte Direktorenvilla bleiben erhalten – es gibt zudem Platz fürs lokale Gewerbe. Der Gaskessel darf weiter feiern.
Die Abstimmung: Am 30. November entscheidet die Stimmbevölkerung über die Zonenplanänderung mit Planungspflicht. Diese legt den Rahmen der künftigen Nutzung fest – über die Details entscheidet später die Regierung. Gleichzeitig beschliesst das Volk in einer zweiten Vorlage, ob der Gemeinderat die Baufelder im Baurecht abgeben darf. Ebenso über einen Kredit für die Infrastruktur des Gaswerk-Areals von rund 25 Millionen Franken.
Das sagen die Befürworterinnen und Befürworter: Das Stadtparlament befürwortet das neue Quartier überaus deutlich. Es entstehe Wohnraum für rund 1000 Menschen. «Das hilft gegen die Wohnungsnot», sagt SP-Fraktionschef Dominik Fitze. «Uns ist wichtig, dass ein gut durchmischtes Quartier entsteht – nicht nur Wohnungen für Gutverdienende.» Dank den Genossenschaften und preisgünstigem Wohnraum baue man so für die breite Bevölkerung.
Uns ist wichtig, dass ein gut durchmischtes Quartier entsteht.
Auch die FDP unterstützt das Projekt, aber zähneknirschend. Die Partei kritisiert, dass mit den mehrheitlich preisgünstigen Wohnungen eine ganze Gesellschaftsschicht ausgeschlossen werde.
Das sagt die Gegnerschaft: Gegen die Überbauung des Gaswerk-Areals in dieser Form stemmt sich von den Parteien einzig die SVP. Diese Lage am Naherholungsgebiet Aare/Marzili sei prädestiniert für «höherwertiges Wohnen», so SVP-Stadtrat Alexander Feuz.
Man verschleudert die beste Lage für Sozialwohnungen oder Genossenschaften.
Der rot-grünen Stadt gehe es nur darum, Wohnungen für ihre Klientele zu bauen und ihre rot-grüne Bastion zu verstärken. «Man verschleudert die beste Lage für Sozialwohnungen oder Genossenschaften», so Feuz.
Das sagt die Stadtregierung: In Bern seien in den letzten zehn Jahren rund 1500 Wohnungen entstanden, so die Berner Finanzdirektorin Melanie Mettler (GLP).
Dennoch ist der Anteil der gemeinnützigen Wohnungen mit rund 9 Prozent deutlich tiefer als etwa in Zürich mit 27 Prozent. «In diesem Segment spielt der Markt nicht wirklich, darum setzen wir auf unserem eigenen Boden auf Genossenschaften und preisgünstiges Wohnen.»
Das gibt weiter zu reden: Im Hüttendorf «Anstadt» leben seit einigen Jahren rund 50 Menschen. Diese haben das Areal im westlichen Teil des Gaswerk-Areals besetzt. Die Stadt toleriert diese Hütten-Utopie bis zum Baustart des neuen Quartiers.
Das Hüttendorf kämpft mit Plakaten und in den sozialen Medien gegen die Pläne der Stadt, welche das Ende der Wagensiedlung in dieser Form bedeuten würde. Die Anstadt besetze nur einen kleinen Teil des Gaswerk-Areals, sagt Tim vom Anstadt-Kollektiv. «Der grösste Teil des leeren Raums könnte überbaut werden, ohne Freiräume zu verdrängen.»