Sollen genetische Tests an Embryonen erlaubt sein, bevor diese in die Gebärmutter eingesetzt werden? Um diese Frage dreht sich die Abstimmungsvorlage zur «Änderung der Verfassungsbestimmung zur Fortpflanzungsmedizin und Gen-Technologie im Humanbereich». Ihr Ziel ist die Änderung des Artikels 119 der Bundesverfassung, damit Präimplantationsdiagnostik (PID) in Zukunft auch in der Schweiz durchgeführt werden kann.
Bisher verbietet das Schweizer Gesetz genetische Tests an künstlich erzeugten Embryonen. Dies zwingt Paare, die nicht auf natürlichem Weg Eltern werden können oder Träger einer schweren Erbkrankheit sind, auf ihrem Kinderwunsch zu verzichten oder die PID im Ausland in Anspruch zu nehmen. Der Bundesrat und das Parlament wollen deshalb die PID mit Einschränkungen einführen.
Hilfe bei künstlicher Befruchtung
Heute dürfen bei einer künstlichen Befruchtung nur so viele Embryonen entwickelt werden, wie der Frau eingesetzt werden können – also maximal drei. Diese Begrenzung soll verhindern, dass «überzählige» Embryonen entstehen und gegebenenfalls wieder vernichtet werden müssen. Die sogenannte «Dreierregel» hat aber in Kombination mit dem PID-Verbot Nachteile. Zum einen besteht das Risiko, dass unter den drei erzeugten Embryonen keines lebensfähig ist, dies aber erst nach der Implantation ersichtlich wird.
Zum andern führt die gleichzeitige Implantation von drei Embryonen nicht selten zu Mehrlingsschwangerschaften, die meist risikobehaftet sind. Umgekehrt steigert die PID prinzipiell die Erfolgschancen der künstlichen Befruchtung: Es werden nur nachweislich lebensfähige Embryonen implantiert und jeweils nur eines aufs Mal, was die Aussichten auf einen günstigen Verlauf der Schwangerschaft erhöht.
Vorbeugung von Erbkrankheiten
Bei Trägern einer schweren Erbkrankheit hilft die PID dahingehend, als dass sie den Eltern schon vor der Implantation die Gewissheit gibt, dass das Kind nicht Träger des Gen-Defektes ist. Damit erspart die PID den Betroffenen die Entscheidung eines späteren Schwangerschaftsabbruchs beziehungsweise verlagert diesen von der Gebärmutter in das Reagenzglas. Auch in diesem Fall werden die Embryonen also künstlich erzeugt und vor ihrer Implantation in die Gebärmutter untersucht.
Schlussendlich werden nur jene eingesetzt oder aufbewahrt, bei welchen die jeweilige Erbkrankheit nicht nachgewiesen werden konnte. Die anderen werden entsorgt. Auf diese Weise haben die Eltern zwar die Gewissheit, die Krankheit nicht an ihr Kind zu vererben. Gleichzeitig kommt es aber bei diesem Verfahren zu einer Selektion und Vernichtung von Embryonen durch Menschenhand, was ethisch nicht ohne weiteres zu verantworten ist.
Keine Designerbabys
Die Vorlage zur Einführung der PID soll gemäss Bundesrat und Parlament ausschliesslich dazu dienen, Embryonen, «die eine gute Entwicklungsfähigkeit erwarten lassen», auszuwählen. Die Feststellung des Geschlechts und anderer körperlicher Merkmale ohne Krankheitsbezug bleibt auch bei der Annahme der Vorlage verboten. Damit soll verhindert werden, dass Eltern körperliche Eigenschaften ihrer Kinder im Vorfeld festlegen, was längerfristig zu einer gesellschaftlichen Abwertung bestimmter Erbanlagen führen könnte. Auch darf die Zulassung der PID nicht dazu dienen, sogenannte Retterbabys zu erzeugen, die als Stammzellenspender für erkrankte Geschwister zum Einsatz kämen.
Trotz dieser Einschränkungen bleibt das Kriterium «Embryonen mit einer guten Entwicklungsfähigkeit» recht schwammig. Die Zulassung der PID, wie sie die Verfassungsänderung vorsieht, erlaubt nämlich auch sogenannte Aneuploidie-Screenings, also die Feststellung von Chromosomenanomalien beim Embryo. Diese Untersuchung ist im Zusammenhang mit wiederholten Fehlgeburten sinnvoll, weil fehlende oder überzählige Chromosomen die Ursache von Unfruchtbarkeit sein können.
Bei diesem Verfahren werden aber auch Erbkrankheiten wie das Down-Syndrom (Trisomie 21) entdeckt, die die Entwicklungsfähigkeit des Embryos zwar einschränken, aber nicht soweit als dass er dadurch nicht lebensfähig wäre. In solchen Fällen wird die Frage nach der Entwicklungsfähigkeit durch die ethisch viel unbequemere Problemstellungen verdrängt, nämlich ob ein Leben trotz Behinderung für Eltern und Kind lebenswert ist.
Ungewisser Embryonenschutz
Neben den genannten medizinischen Vorteilen hat die Zulassung der PID in der Schweiz auch problematische Aspekte. Gegner fürchten, dass mit der Annahme der Vorlage kein Embryonenschutz mehr bestehen und jedes denkbare Fortpflanzungsverfahren – von der Herstellung von Retterbabys, über die Eizellenspende bis hin zur Embryonenspende – zulässig würde.
Darüber hinaus beanstanden Kritiker, dass mit der Zulassung der PID und der Abschaffung der «Dreierregel» überzählige Embryonen einem ungewissen Schicksal überlassen würden. Nach zehn Jahren werden eingefrorene Embryonen nämlich vernichtet oder der Forschung übergeben.
Zulassung von PID und Aneuploidie-Screening in europäischen Ländern
Land | PID | Aneuploidie-Screening |
Belgien | zulässig | zulässig |
Bulgarien | zulässig | zulässig |
Dänemark | zulässig | zulässig |
Deutschland | zulässig | zulässig |
England | zulässig | zulässig |
Frankreich | zulässig | unzulässig |
Griechenland | zulässig | unzulässig |
Niederlande | zulässig | unzulässig |
Irland | nicht geregelt/nicht praktiziert | nicht geregelt/nicht praktiziert |
Italien | zulässig durch Gerichtsurteile | zulässig durch Gerichtsurteile |
Luxemburg | nicht geregelt/nicht praktiziert | nicht geregelt/nicht praktiziert |
Norwegen | zulässig | unzulässig |
Österreich | zulässig | zulässig |
Portugal | zulässig | zulässig |
Schweden | zulässig | wohl zulässig |
Schweiz | unzulässig | unzulässig |
Spanien | zulässig | zulässig |
Zypern | zulässig | zulässig |
Quelle: Bundesamt für Gesundheit BAG |