Zum Inhalt springen

Header

Zur Übersicht von Play SRF Audio-Übersicht

Alt Bundeskanzler Walter Thurnherr: «Aussenpolitik sind wir uns nicht gewohnt»

Acht Jahre lang war Walter Thurnherr Bundeskanzler der Schweiz. Daher kennt er die Abläufe und Machtstrukturen in Bundesbern wie kaum ein anderer. In seinem neuen Buch beschreibt er, wie der Bundesrat immer wieder vom Weltgeschehen überrascht wird, wie sich die Öffentlichkeitsarbeit verändert hat und wann ein Bundesrat ein guter Bundesrat ist. Im Interview mit SRF spricht er über seine Beweggründe und die Hintergründe zum Buch.

Walter Thurnherr

Ehemaliger Bundeskanzler

Personen-Box aufklappen Personen-Box zuklappen

Walter Thurnherr war von 2015 bis 2023 Bundeskanzler und ist heute Professor of Practice am Departement für Geistes-, Sozial- und Staatswissenschaften der ETH Zürich.

SRF: In Ihrer Zeit als Bundeskanzler wurden Sie auch als «Schattenkönig im Bundeshaus» beschrieben. Ist das Buch nun Ihr Versuch, aus dem Schatten zu treten?

Walter Thurnherr: Nein. Es war schon lange ein Anliegen von mir, die Mechanik hinter den Entscheiden des Bundesrates zu beschreiben, zu zeigen, dass unser System ziemlich einzigartig ist im internationalen Vergleich. Und auch, dass der Job eines Bundesrates vielleicht anspruchsvoller ist, als man meint.

Sie hätten nach all den Jahren im Bundeshaus eine Abrechnung schreiben können. Es ist aber eher eine Rechtfertigung geworden. Hatten Sie Beisshemmungen?

Es gab keinen Grund, irgendeine Abrechnung vorzunehmen. Der Bundesrat ist von mir aus gesehen eine gute und auch eine gut funktionierende Institution für die Schweiz. Anhand von Beispielen aus der Vergangenheit zeige ich aber auch auf, wo es manchmal harzt. Aber Beisshemmungen gegenüber dem Bundesrat habe ich keine.

Sie kritisieren etwa die Aussenpolitik des Bundesrates, er werde häufig vom Weltgeschehen überrascht. Woran liegt das?

Der Bundesrat hat in den letzten 40 Jahren mehrere Krisen erlebt, die man eigentlich hätte voraussehen können. Etwa die nachrichtenlosen Vermögen, das Bankgeheimnis oder der Datenaustausch mit den USA. Was man aber auch sagen muss: Wenn nun Bundesrat Hans-Rudolf Merz nicht gesagt hätte, man werde sich am Bankgeheimnis die Zähne ausbeissen, sondern: ‹Das Bankgeheimnis wackelt, wir müssen es wohl abschaffen› – ich bin nicht sicher, ob ihn die Medien als mutigen Bundesrat betitelt hätten oder nicht viel eher über seinen Rücktritt spekuliert hätten.

In einer Demokratie, in der man auf Mehrheiten Rücksicht nehmen muss, sollte man der Zeit höchstens knapp voraus sein.

In der Schweiz ist es zwar gut, gescheiter zu sein als der Durchschnitt. Aber in einer Demokratie, in der man auf Mehrheiten Rücksicht nehmen muss, sollte man der Zeit höchstens knapp voraus sein.

Diskutiert der Bundesrat genügend über Vorgänge, die in der Welt um uns herum passieren? 

Wir müssen ehrlicherweise sagen, dass die Aussenpolitik in den letzten 30 Jahren kein grosses Gewicht in einer Bundesratssitzung hatte. Aber die Zeiten haben sich verändert. Man hat immer mehr gemerkt, dass die Schweiz und das Ausland nicht parallel existieren. Das, was in der Welt passiert, hat Folgen für die Schweiz. Die Krisen sind auch bei uns angekommen: Wir wurden auf einen Pausenplatz mit Sechstklässlern entlassen, die uns auch mal eine Ohrfeige verpassen. Wir sind uns das nicht gewohnt und müssen uns daher neu positionieren.

Es ist wichtig, dass man die Bereitschaft nicht verliert, Kompromisse zu schliessen.

Sie beschreiben im Buch die Bedeutung der informellen Treffen des Bundesrates, etwa das gemeinsame Mittagessen nach der Sitzung. Warum ist das wichtig?

In der Sitzung ist man relativ distanziert, man siezt sich. Wenn ein Bundesrat mit einem Beschluss eines anderen nicht zufrieden ist, kann das Spannungen geben. Es tut darum gut, nach der Bundesratssitzung in einem informellen Rahmen darüber zu reden. Schliesslich ist der Bundesrat keine Koalitionsregierung, die Positionen liegen zum Teil weit auseinander. Darum ist es wichtig, dass man die Bereitschaft nicht verliert, Kompromisse zu schliessen.

Das Gespräch führte Simone Hulliger.

Tagesgespräch, 23.10.2025, 13 Uhr ; 

Meistgelesene Artikel