«Im Berichtsmonat fand keine Stromproduktion statt.» Dieser Satz steht auf der Website des Kernkraftwerks Gösgen seit Juni an jener Stelle, an der normalerweise die aktuellen Betriebsangaben stehen sollten. Frühestens ab Februar 2026 wird sich dieser Eintrag wieder ändern. Bis dahin liefert das Soloturner Werk keinen Strom.
Das Eidgenössisches Nuklearsicherheitsinspektorat ENSI hat bei der Inspektion eine «mutmassliche Auslegungsschwachstelle im Speisewassersystem» entdeckt und verlangte Nachbesserungen. Erst wenn diese Arbeit erledigt ist, wird man über dem markanten Kühlturm wieder eine Dampfwolke in den Himmel steigen sehen.
Wenn ich morgens zur Arbeit komme und keine Dampfwolke sehe, tut mir das weh.
Der «wolkenlose» Kühlturm ist für Herbert Meinecke, Leiter des Kernkraftwerks, ein schmerzhafter Anblick. «Wenn ich morgens zur Arbeit komme und keine Dampfwolke sehe, tut mir das weh.» Vermutlich gehe es vielen anderen der 660 Mitarbeitenden von Gösgen genauso. Was tun sie jetzt, wo sie seit über einem halben Jahr keinen Strom mehr produzieren?
Angestellte arbeiten weiter
Wie Herbert Meinecke erklärt, verhält es sich bei einem Atomkraftwerk anders als bei einem Bäcker, wenn die Backstube geschlossen ist oder anders, als bei einem Piloten ohne Flugzeug. «Im Prinzip hat jeder unserer Mitarbeitenden mit der Stromproduktion zu tun. Aber ob wir Strom produzieren oder nicht, hat auf die Anzahl der Mitarbeitenden keinen Einfluss.»
«Die Putzkräfte reinigen weiter, die Ingenieure überprüfen zum Beispiel weiterhin die Ausrüstungen, die Finanzleute kümmern sich noch immer um die Buchhaltung», sagt Meinecke. Aber natürlich merkt man beim Rundgang durch das vom Netz genommene Kernkraftwerk, dass hier etwas anders ist.
Die andere Werksführung
Im Maschinenhaus dröhnen die vier grossen Turbinen nämlich ansonsten so laut, dass man sein eigenes Wort kaum versteht. Heute hört man nur das Rauschen von mobilen Lüftungs- und Heizsystemen.
Meinecke erklärt: «In diesen Turbinen fliesst normalerweise Wasser, jetzt ist nichts mehr drin. Um zu verhindern, dass die Turbinen rosten und um Standschäden zu vermeiden, sind die Lüftungen und die Heizungen im Einsatz.»
Besonders deutlich sichtbar wird der Stillstand des Kraftwerks, wenn man sich im Innern des 150 Meter hohen Kühlturms befindet. Schon alleine deswegen, weil man sich bei laufendem Betrieb gar nicht am Boden des Kühlturmes aufhalten könnte. «Bei laufendem Betrieb wäre der Aufenthalt hier vergleichbar mit einem heissen Dampfbad», sagt Betriebsführer Stefan Brandes. «Wer hier drin steht, ist beeindruckt von der grossen Dimension des Turmes.»
Millionenschwerer Stillstand
Jeder Tag, den das Atomkraftwerk stillsteht, kostet die Eigentümer etwa eine Million Franken. Der Druck von den Betreibern – primär Alpiq und Axpo –, so schnell wie möglich wieder ans Netz zu gehen, muss enorm sein, oder etwa nicht? Kraftwerksleiter Herbert Meinecke relativiert: «Es ist unser eigener Antrieb, so schnell wie möglich wieder ans Netz zu gehen. Von aussen gibt es keinen Druck, den Druck machen wir uns selbst.»
Das Ziel in Gösgen ist es, das Werk ab Februar wieder in Betrieb zu nehmen. Die Arbeiten am Speisewassersystem seien auf Kurs, sagt Meinecke. Innerlich freut er sich schon darauf, auf dem Weg zur Arbeit endlich wieder eine weisse Dampfwolke über dem markanten Kühlturm von Gösgen zu erblicken.