Eine bedingte Freiheitsstrafe von einem Jahr und elf Monaten. So urteilte das Regionalgericht Plessur im Fall eines ehemaligen Richters. Er soll eine Praktikantin vergewaltigt, sexuell genötigt und bedroht haben.
Vor Kurzem erschien die schriftliche Begründung des Urteils.
Darin ist nachzulesen, dass das Gericht die Strafe um drei Monate reduziert hat. Ein Grund: die «massive Vorverurteilung» des Beschuldigten durch die Medien.
Laut Gesetz kann für eine Vergewaltigung eine Strafe von bis zu zehn Jahren verhängt werden.
Medien müssen über Gerichtsfälle berichten
Die Reduktion der Strafe wirft Fragen auf. Eine klare Meinung dazu hat Urs Saxer, Professor für Staats-, Verwaltungs- und Medienrecht an der Universität Zürich. Er hat sich mit dem Urteil befasst und sagt: «Für eine solche Strafminderung fehlt jegliche gesetzliche Grundlage.»
Dass die Medien über Gerichtsfälle berichten, sei üblich und auch erwünscht. «Selbstverständlich bedeutet eine Berichterstattung keine mediale Vorverurteilung, im Gegenteil», führt Saxer aus.
Medien hätten eine wichtige Rolle bei der Information der Bevölkerung und der Kontrolle der Justiz, so der Experte. Die Berichterstattung dürfe keine Rolle bei der Urteilsfindung spielen. Die Richterinnen und Richter hätten volle Akteneinsicht, um sich ein eigenes Bild zu machen.
Nicht im Gesetz vorgesehen
Urs Saxer hat kein Verständnis für die Begründung der Strafminderung durch das Regionalgericht Plessur. «Das ist höchst fragwürdig und gesetzlich nicht vorgesehen. Es gehört nicht zu den Strafzumessungsgründen», kritisiert der Rechtsprofessor.
Und noch etwas stört ihn. «Dass die Medien den Beschuldigten vorverurteilt haben sollen, ist eine völlig allgemeine Behauptung. Tatsachen, die dies belegen, bleibt das Gericht schuldig.»
Im Urteil finden sich keine Hinweise darauf, wo und wie eine Vorverurteilung durch die Medien stattgefunden haben soll.
Gericht nimmt nicht weiter Stellung
Das Gericht hält im Urteil aber fest, dass die Unschuldsvermutung sowie das Recht auf ein faires Verfahren durch die Berichterstattung tangiert gewesen seien.
Auf Anfrage von SRF sagt ein Sprecher der Bündner Gerichte: Das Urteil werde nicht weiter kommentiert.
Dass das Gericht seine Einschätzungen nicht konkret belegt, ist für den Rechtsexperten der Universität Zürich unverständlich.
Ich erachte das als rechtswidrig.
«Das ist nicht einmal mehr eine dünne Basis. Sondern gar keine, um von einer medialen Vorverurteilung zu reden und die Strafe deswegen zu reduzieren. Ich erachte das als rechtswidrig», sagt Urs Saxer.
Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Alle betroffenen Parteien haben die Möglichkeit, den Entscheid weiterzuziehen.