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Bündner Vergewaltigungsfall Rechtsprofessor: «Strafreduktion erachte ich als rechtswidrig»

Das Gericht setzte die Strafe für den Bündner Ex-Richter wegen Medienberichten tiefer an. Zu Unrecht, sagt ein Experte.

Eine bedingte Freiheitsstrafe von einem Jahr und elf Monaten. So urteilte das Regionalgericht Plessur im Fall eines ehemaligen Richters. Er soll eine Praktikantin vergewaltigt, sexuell genötigt und bedroht haben.

Sonnenuntergang hinter Gebäude mit grünen Fensterläden und Fahrrädern.
Legende: Der beschuldigte Mann hat am Bündner Verwaltungsgericht in Chur als Richter gearbeitet. Keystone / Gian Ehrenzeller

Vor Kurzem erschien die schriftliche Begründung des Urteils.

Darin ist nachzulesen, dass das Gericht die Strafe um drei Monate reduziert hat. Ein Grund: die «massive Vorverurteilung» des Beschuldigten durch die Medien.

So hat das Gericht entschieden

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Das Gericht verhängte eine Freiheitsstrafe von 23 Monaten und eine Geldstrafe von 60 Tagessätzen zu 90 Franken, beides bedingt bei einer Probezeit von zwei Jahren. Auch eine Busse von 2300 Franken wurde ausgesprochen.

Freigesprochen wurde der Angeklagte vom Vorwurf der mehrfachen schriftlichen sexuellen Belästigung – mangels Vorliegen eines Vorsatzes in dubio pro reo. Auch die Verfahren betreffend mehrere verbale und tätliche Belästigungen wurden eingestellt, weil die Vorfälle verjährt sind oder es keinen gültigen Strafantrag gab.

Laut Gesetz kann für eine Vergewaltigung eine Strafe von bis zu zehn Jahren verhängt werden.

Medien müssen über Gerichtsfälle berichten

Die Reduktion der Strafe wirft Fragen auf. Eine klare Meinung dazu hat Urs Saxer, Professor für Staats-, Verwaltungs- und Medienrecht an der Universität Zürich. Er hat sich mit dem Urteil befasst und sagt: «Für eine solche Strafminderung fehlt jegliche gesetzliche Grundlage.»

Person mit Brille und Anzug, neutraler Hintergrund.
Legende: Sieht keine Anhaltspunkte für einen Strafrabatt: Rechtsexperte Urs Saxer von der Universität Zürich. Steinbrüchel Hüssy Rechtsanwälte

Dass die Medien über Gerichtsfälle berichten, sei üblich und auch erwünscht. «Selbstverständlich bedeutet eine Berichterstattung keine mediale Vorverurteilung, im Gegenteil», führt Saxer aus.

Medien hätten eine wichtige Rolle bei der Information der Bevölkerung und der Kontrolle der Justiz, so der Experte. Die Berichterstattung dürfe keine Rolle bei der Urteilsfindung spielen. Die Richterinnen und Richter hätten volle Akteneinsicht, um sich ein eigenes Bild zu machen.

Nicht im Gesetz vorgesehen

Urs Saxer hat kein Verständnis für die Begründung der Strafminderung durch das Regionalgericht Plessur. «Das ist höchst fragwürdig und gesetzlich nicht vorgesehen. Es gehört nicht zu den Strafzumessungsgründen», kritisiert der Rechtsprofessor.

Und noch etwas stört ihn. «Dass die Medien den Beschuldigten vorverurteilt haben sollen, ist eine völlig allgemeine Behauptung. Tatsachen, die dies belegen, bleibt das Gericht schuldig.»

Historisches Gebäude mit Rundbogenfenstern und Herbstbaum.
Legende: Aufgrund des grossen öffentlichen Interesses fand der Prozess im Parlamentsgebäude statt. SRF / Sandro Oertli

Im Urteil finden sich keine Hinweise darauf, wo und wie eine Vorverurteilung durch die Medien stattgefunden haben soll.

Gericht nimmt nicht weiter Stellung

Das Gericht hält im Urteil aber fest, dass die Unschuldsvermutung sowie das Recht auf ein faires Verfahren durch die Berichterstattung tangiert gewesen seien.

Buntstiftzeichnung von vier Personen in einem Meeting.
Legende: Die Verhandlung vor dem Regionalgericht Plessur fand im November 2024 statt. SRF

Auf Anfrage von SRF sagt ein Sprecher der Bündner Gerichte: Das Urteil werde nicht weiter kommentiert.

Dass das Gericht seine Einschätzungen nicht konkret belegt, ist für den Rechtsexperten der Universität Zürich unverständlich.

Ich erachte das als rechtswidrig.
Autor: Urs Saxer Rechtsprofessor Universität Zürich

«Das ist nicht einmal mehr eine dünne Basis. Sondern gar keine, um von einer medialen Vorverurteilung zu reden und die Strafe deswegen zu reduzieren. Ich erachte das als rechtswidrig», sagt Urs Saxer.

Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Alle betroffenen Parteien haben die Möglichkeit, den Entscheid weiterzuziehen.

Regionaljournal Graubünden, 3.11.2025, 17:30 Uhr ; 

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