Trennen sich Eltern, haben sie in der Regel das gemeinsame Sorgerecht. Sie entscheiden gemeinsam, wo die Kinder leben, welche Schule sie besuchen oder ob ein Umzug ins Ausland erfolgt. Auch dann, wenn die Kinder hauptsächlich bei jenem Elternteil wohnen, der die Obhut hat.
Was aber, wenn eine Mutter oder ein Vater ein Kind gegen den Willen des anderen Elternteils ins Ausland bringt? Umgangssprachlich ist dann oft von «internationaler Kindesentführung» die Rede. Strafrechtlich trifft diese Bezeichnung jedoch nicht zu, zumindest dann nicht, wenn der umziehende Elternteil die Obhut hat. Das stellt das Bundesgericht in einem Leiturteil klar.
Bundesgericht zu Kindsentführungen durch Eltern
Ausgangspunkt ist der Fall einer Mutter aus dem Kanton Bern. Sie zog mit ihren drei Kindern gegen den Willen des Vaters nach Tunesien. Das Berner Obergericht verurteilte sie deshalb zu drei Jahren und neun Monaten Gefängnis wegen Entführung und Entziehung von Minderjährigen. Doch jetzt sagt das Bundesgericht: Das war keine Entführung.
Obhut erlaubt Aufenthaltsbestimmung
Es könne keine Entführung sein, weil die Kinder sich doch in der Obhut der Mutter befänden. Aufgrund des gemeinsamen Sorgerechts hätte es zwar die Zustimmung des Vaters gebraucht. Dass dieser nicht einverstanden war, mache den Umzug jedoch nicht zur Entführung, solange es den Kindern gut gehe.
Der Anwalt und Lehrbeauftragte an der Universität Bern, Christian von Wartburg, erklärt es so: «Die Eltern sind just ermächtigt, zu bestimmen, wo die Kinder wohnen, wo sie schlafen, welche Schule sie besuchen.» Deshalb sei es keine Entführung, sondern nur ein sogenannter Entzug von Minderjährigen, ein weniger gravierendes Delikt.
Geldstrafe statt Gefängnis?
«Es ist nicht straffrei, die Kinder einem Vater vorzuenthalten», sagt von Wartburg. Beim Entzug von Minderjährigen drohen laut Gesetz aber nicht bis fünf Jahre Gefängnis wie bei einer Entführung, sondern höchstens drei Jahre Haft oder in den meisten Fällen eine Geldstrafe.
Laut von Wartburg ist das richtig, denn man könne sich vorstellen, «dass es hochproblematisch wäre, wenn dann die Mütter für längere Zeit ins Gefängnis müssen. Ich finde das Urteil im Ergebnis richtig.» Auch, wenn die genaue Strafe für die Mutter noch nicht bekannt ist.
Kritik aus Sicht betroffener Eltern
Das Urteil weckt bei Oliver Hunziker gemischte Gefühle. Er ist Präsident des Vereins für elterliche Verantwortung. Dieser setzt sich dafür ein, dass beide Elternteile, ob mit oder ohne Obhut, Kontakt zu ihren Kindern behalten können.
«Natürlich ist das juristisch so korrekt. Rein technisch gesehen ist es keine Entführung, sondern eine Vorenthaltung von Unmündigen.» Emotional sei die Lage für den Vater in diesem Fall jedoch eine andere: «Ihm ist es wahrscheinlich egal, ob das eine Entführung oder sonst was war. Er hätte gerne wieder Kontakt zu den Kindern.»
Und das habe die Mutter erfolgreich vereitelt. «Da liegt eines der Probleme. Wenn man das machen kann, ohne nennenswerte Konsequenzen fürchten zu müssen, dann wird es gemacht.» Eine Geldstrafe sei weniger abschreckend, als wirklich ins Gefängnis zu müssen.
Das Berner Obergericht muss zwar noch entscheiden, wie hoch die Strafe für die Mutter im konkreten Fall sein soll. Klar ist aber: Fast vier Jahre Gefängnis wie bisher werden es nicht sein.