Der Grosse Rat Thurgau hat zuletzt über das kantonale Budget für 2026 debattiert. Eine besondere Idee als Sparmassnahme brachte die FDP aufs Tapet: die Verkleinerung des Parlaments um 30 Sitze, von 130 auf 100.
Sitzzahlreduktionen gab es in anderen Kantonen immer wieder. In den 2000er Jahren reduzierten die Kantone Aargau (von 200 auf 140), Solothurn (von 144 auf 100) und Basel-Stadt (von 130 auf 100). Vor drei Jahren lehnte der Zürcher Kantonsrat ein Postulat zu einer Ratsverkleinerung ab.
Die Idee sei jeweils, effizienter zu werden, sagt Politikwissenschaftler Michael Strebel. Anscheinend ein Trugschluss. «Man hat dann gesehen, dass die Arbeitslast für ein einzelnes Parlamentsmitglied gestiegen ist. Die Arbeit, die parlamentarischen Geschäfte, die Kommissionen – all dies bleibt», sagt Strebel.
Darüber ist man sich auch im Thurgau über die Parteigrenzen hinaus einig. «Die höhere Arbeitslast sehe ich als Gefahr», sagt Grossrätin Sandra Reinhart (Grüne).
GLP-Grossrat Stefan Leuthold sieht eine Bewegung weg vom Milizsystem. Wer mehr für das Parlament arbeiten muss, sei beruflich weniger flexibel: «Es darf nicht sein, dass wir künftig nur noch Gemeindepräsidentinnen und -präsidenten sowie Pensionierte haben, die sich die Arbeit im Grossen Rat zeitlich und finanziell leisten können.»
Spart Ratsverkleinerung wirklich Geld?
Die Vereinbarkeit des Milizsystems mit Beruf und Familie sei heute schon schwieriger als früher, sagt Politologe Michael Strebel: «Wenn die Arbeitslast noch höher wird, überlegen sich viele Parlamentsmitglieder: Wie bringe ich das alles unter einen Hut?» Einige Parlamente reagieren bereits und beginnen, Stellvertretersysteme einzuführen – so in der Westschweiz auch in der Stadt Bern.
Dass mit einer Ratsverkleinerung gespart werden kann, glaubt Strebel nicht. «Vielleicht gäbe es weniger Sitzungsgelder. Aber das könnte durch mehr Sitzungen, die länger dauern, wieder aufgehoben werden.»
Parteienvielfalt könnte leiden
Schaden könnte eine Ratsverkleinerung kleinen Parteien. Im Thurgau befürchten zum Beispiel EVP, EDU (je sechs Sitze) oder Aufrecht (ein Sitz), dass es für sie schwieriger wird, überhaupt ins Parlament zu kommen.
Politologe Strebel sagt, diese Einschätzung sei nicht aus der Luft gegriffen. «Vielleicht führt diese Diskussion zu einer grundsätzlichen Überlegung: Was verstehen wir eigentlich unter Repräsentativität?» Das heisst: Auch kleinere Parteien sind ein Abbild einer Gesellschaftsschicht. Ein kleineres Parlament mit weniger Parteienvielfalt bildet auch die Gesellschaft weniger ab.
Handkehrum könnten grössere Parteien von einer Ratsverkleinerung profitieren. Für Hermann Lei von der SVP ist dies kein Argument: «Unser Auftrag ist, für den Kanton zu schauen. Ich glaube, mit einem grösseren Parlament können wir das besser.» Und die Regionen seien so besser vertreten.
Ansporn zur Selbstreflexion
So oder so: Die Debatte über die Parlamentsgrösse und damit auch über das politische System im Thurgau ist gestartet. Es gibt noch mehr Ideen. Man wolle sich im Allgemeinen über die Strukturen Gedanken machen, um die Effizienz zu steigern, zum Beispiel beim Sitzungsrhythmus oder dem Kommissionssystem.
Etwas, was Politologe Michael Strebel begrüsst. Selbstreflexion werde oft vernachlässigt. «Solche Ideen können ein Ansporn sein, die Parlamentsarbeit grundsätzlich anzuschauen.» Eine Gesamtschau, wie sie im Thurgau diskutiert wird.