Die Diskussion: Am Samstag treffen sich in Bern die Delegierten der FDP Schweiz. Sie entscheiden darüber, ob die Partei das Vertragspaket zwischen der Schweiz und der Europäischen Union unterstützen soll. Und, ob die Partei bei einer Volksabstimmung das doppelte Mehr von Volk und Ständen verlangen oder ob ein einfaches Mehr des Stimmvolks genügen soll.
Die Ausgangslage: In der FDP gibt es starke unterstützende Stimmen, die sich für die neuen Verträge aussprechen, etwa Nationalrat und Unternehmer Simon Michel. Und es gibt vehemente Kritiker, wie den Alt-Nationalrat und Zürcher Stadtrat Filippo Leutenegger. In der Vergangenheit hat die FDP den bilateralen Weg stets unterstützt. Das neue Vertragspaket stellt allerdings eine Erweiterung und Vertiefung dar. Lehnt die FDP das Paket ab, dürfte es kaum eine Mehrheit dafür geben.
Die Argumente für ein Ja: Die Befürworterseite argumentiert mit dem Wohlstand, welche die Bilateralen der Schweiz gebracht haben. Ohne Erweiterung würden die bestehenden Verträge an Wert verlieren, weil die EU sie nicht mehr aktualisieren will. Das sei ein Risiko in geopolitisch unsicheren Zeiten, heisst es in einer «Informationsnotiz» für die Delegierten. Die dynamische Rechtsübernahme sei «pragmatisch» und mit einem «Veto-Recht» für die Schweiz versehen. Der Streitbeilegungsmechanismus bringe Fairness und könne auch die Schweiz schützen.
Die Argumente für ein Nein: Die Gegner befürchten, die Schweiz gewinne mit dem neuen Vertragspaket wirtschaftlich zu wenig und gebe politisch zu viel Selbstbestimmung auf. Freie Abstimmungen über gemeinsame Marktbestimmungen sei nicht möglich, wenn die EU-Seite nach einem Nein Ausgleichsmassnahmen ergreifen könnte. Die Mitsprache des Europäischen Gerichtshofs bei der Auslegung von EU-Binnenmarktregeln lehnen sie ab. Zudem rechnet die Gegnerschaft nicht damit, dass die bestehenden Verträge nach einem Nein rasch an Wert verlieren würden.
Die Mehrheiten in der FDP: In der Vergangenheit hat sich die Partei immer klar für den bilateralen Weg ausgesprochen. Nun gibt es aber gewichtige Stimmen, die die Erweiterung und Vertiefung nicht mittragen wollen. Sie befinden sich laut einer vom (den Verträgen wohlwollend gegenüberstehenden) Verband Interpharma in Auftrag gegebenen Umfrage in der Minderheit: Demnach sind knapp drei Viertel der FDP-Basis für das neue Vertragspaket – mehr als in der Gesamtbevölkerung.
Der Kompromiss: Ein Nein der FDP-Delegierten zu den EU-Verträgen wäre eine Überraschung. Gut möglich ist aber, dass die Delegierten am Samstag zwar ein Ja zu den EU-Verträgen beschliessen, gleichzeitig aber verlangen, dass sich die Partei für das doppelte Mehr von Volk und Ständen einsetzt. Susanne Vinzenz-Stauffacher (eine Befürworterin) und Benjamin Mühlemann (ein Skeptiker), die gemeinsam am Samstag als Co-Präsidium der FDP gewählt werden sollen, haben sich in der SRF-Samstagsrundschau für diese Variante ausgesprochen.
Die Auswirkungen auf die Debatte: Die Wirtschaftspartei FDP würde damit zunächst ihre Offenheit für die Weiterentwicklung des bilateralen Wegs zeigen können. Und sie würde es vermeiden, ihren Bundesrat Ignazio Cassis, der für das Vertragspaket verantwortlich ist, zu desavouieren. Zugleich würde mit der Unterstellung unter das Ständemehr die politische Hürde für das Vertragspaket heraufgesetzt, was der Gegnerschaft entgegenkäme.