Ein 28-Jähriger handelte laut Anklage kiloweise Kokain und Heroin, finanzierte sich so einen luxuriösen Lebensstil. Nun steht der mutmassliche Drogenhändler vor dem Bezirksgericht Bülach.
Doch im Prozess geht es um mehr. Aufgeflogen ist der Mann wegen der verschlüsselten Messenger-App Sky ECC – besser bekannt als «Whatsapp für Gangster».
Der Beschuldigte bestreitet die Vorwürfe. Sein Rechtsanwalt Daniel Walder sagt: «Die Erkenntnisse aus diesen Chats sind nicht als Beweise verwertbar.» Denn: Die Daten seien illegal beschafft worden.
50 Verfahren dank «Gangster-Whatsapp»
Der Dienst von Sky ECC war bis 2021 in Betrieb und funktionierte auf speziell präparierten Handys. Er war vor allem bei Kriminellen beliebt. Verbrechen wurden geplant, Fotos und Videos von Drogen, Waffen und sogar Morden verschickt.
Schliesslich knackte die französische Polizei die Verschlüsselung und sicherte Milliarden von Nachrichten. Andere Staaten nutzten die Daten für die Strafverfolgung – eine Goldgrube. Auch die Schweizer Behörden bekamen Informationen zu mutmasslichen Kriminellen. Laut Fedpol sind heute 50 Verfahren mit einem Sky-ECC-Bezug am Laufen.
Sind die Daten verwertbar?
Dann der Schock für die Ermittler: Das Zürcher Obergericht taxierte im Sommer die Chatdaten in einem Verfahren gegen einen Drogendealer als nicht verwertbar. Die Chats der Nutzer in der Schweiz seien illegal beschafft worden – ohne Rechtshilfeersuchen an die Schweiz. Damit sei das Territorialprinzip verletzt worden.
Die Strafverfolgungsbehörden äussern sich nur zurückhaltend zum Thema. Markus Gisin, Chef Kripo bei der Kantonspolizei Aargau: «Personen, bei denen man aufgrund der Chats sieht, dass sie offensichtlich mit Drogen gehandelt haben, könnten strafrechtlich nicht belangt werden.»
Folgen für Strafverfolgung wären verheerend
Bei den Ermittlern ist die Verunsicherung gross. Verfahren, die auf den Chatdaten aufbauen, drohen zu platzen. Ihnen droht die Einstellung, mutmassliche Schwerkriminelle könnten gar straffrei davonkommen.
Die Rundschau hat bei allen Staatsanwaltschaften nach Verfahren mit Sky-ECC-Bezug gefragt. Graubünden führt zwei Verfahren, Schwyz «mehrere», in St. Gallen ist ein Verfahren bekannt. Im Kanton Waadt ist ein Urteil mit Sky-ECC-Bezug rechtskräftig. Zehn Kantone machen keine Angaben. Sieben Kantone geben an, es seien keine Verfahren hängig. Nur wenige Kantone nennen Zahlen.
Die Zürcher Staatsanwaltschaft betont gegenüber der Rundschau, «dass in den von Frankreich übermittelten Daten mehr als 1000 individuelle Anknüpfungspunkte für Straftaten bestehen, welche aber erst noch aufgearbeitet werden müssen». Das bedeutet: In der Schweiz hängen noch hunderte mögliche Strafverfahren an diesem Beweismittel. Das letzte Wort wird das Bundesgericht haben.
Beim Prozess wegen Drogenhandels in Bülach werden die Beweise aus den Sky-ECC-Chats vom Gericht nicht infrage gestellt. Die Richter verurteilen den 28-Jährigen zu zehn Jahren Freiheitsstrafe. Staatsanwalt Christian Meier ist zufrieden: «Es geht hier um Schwerkriminelle, nicht um kleine Fische.» Verteidiger Daniel Walder sagt: «Verständlich, dass das Gericht die heisse Kartoffel an das Obergericht weiterschiebt.»