Gefahr für Journalisten - Schweizer Medienschaffende mit Hasskommentaren konfrontiert
Sechs von zehn Medienschaffenden wurden im letzten Jahr mit hasserfüllten Äusserungen oder Beleidigungen konfrontiert. Erstmals untersucht eine Studie, wie es um die Sicherheit von Journalistinnen und Journalisten steht.
60 Prozent der Medienschaffenden in der Schweiz wurden 2024 beleidigt oder mit Hass konfrontiert.
Dies zeigt eine neue Studie der ZHAW.
11 Prozent erlebten sexuelle Belästigung, 17 Prozent digitale Angriffe, besonders bei investigativen Journalistinnen und Journalisten.
Pascal Crittin, Direktor des Westschweizer Radio und Fernsehens RTS, wurde Mitte Novembermit dem Tod bedroht. Die Zeitung Blick berichtete als Erstes darüber. Er ist nicht der erste Medienschaffende. «Öffentlich bekannte Morddrohungen gegen Medienschaffende in der Schweiz sind selten», sagt Valentin Rubin von Reporter ohne Grenzen Schweiz RSF. Es sei jedoch von einer Dunkelziffer auszugehen. «Betroffene Medienschaffende überlegen sich verständlicherweise jeweils zwei-, drei- oder viermal, was sie öffentlich machen und was nicht, um sich nicht noch weiter zu exponieren.»
Legende:
Eine Mehrheit der Medienschaffenden in der Schweiz erlebt Belästigungen, Hass oder Drohungen.
KEYSTONE / Jean-Christophe Bott
Eine Mehrheit wird belästigt und bedroht
Eine aktuelle Studie der ZHAW hat nun erstmals die Sicherheitssituation von Medienschaffenden in der Schweiz untersucht. Sechs von zehn Medienschaffenden wurden im Jahr 2024 während oder wegen ihrer Arbeit mindestens einmal beleidigt oder mit Hass konfrontiert. Vier von zehn Medienschaffenden wurden rechtliche Schritte angedroht. Elf Prozent erlebten sexuelle oder verbale Belästigung. «Das ist besorgniserregend», sagt Forschungsleiter Vinzenz Wyss. Denn solches wirke sich auf das Wohlbefinden und die journalistische Arbeit aus.
Hauptbefunde der Studie «Gefährdungsmonitor Journalismus Schweiz»
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Sechs von zehn Medienschaffenden wurden im Jahr 2024 während ihrer journalistischen Arbeit mindestens einmal mit hasserfüllten Äusserungen oder Beleidigungen konfrontiert. Die Anfeindungen zielten in erster Linie auf ihre journalistische Arbeit (68%), auf den Journalismus und Medienschaffende im Allgemeinen (64%), auf ihre Medienorganisation (45%) oder auf individuelle Merkmale der befragten Person (20%; z.B. Ethnie oder Geschlecht).
Elf Prozent haben verbale (81%) oder physische (19%) sexuelle Belästigung erfahren.
Vier von zehn Medienschaffenden haben die Androhung rechtlicher Schritte erlebt, während ein Viertel mit der Einleitung rechtlicher Schritte konfrontiert war.
17 Prozent der Medienschaffenden erlebten während ihrer journalistischen Arbeit digitale Bedrohungen wie Hackerangriffe, Phishing oder gefälschte E-Mails.
Besonders betroffen sind jene Medienschaffende, die investigativ arbeiten oder eine interventionistische journalistische Rolle einnehmen, also beispielsweise Mächtige kontrollieren, Missstände beleuchten und Desinformation entgegenwirken wollen. Diese Journalistinnen und Journalisten seien besonders wichtig und müssten vor Drohungen, Klagen und anderen Gefahren geschützt werden, sagt Forschungsleiter Vinzenz Wyss.
Am meisten werden Medienschaffende auf öffentlich zugänglichen digitalen Kanälen bedroht. Neben der beruflichen Situation leidet auch die Gesundheit: Betroffene berichten von erhöhtem Burnout-Risiko, psychischer Belastung und Schwierigkeiten, nach der Arbeit abzuschalten.
Die Studie «Gefährdungsmonitor Journalismus Schweiz» wurde im Auftrag des Bundesamts für Kommunikation (Bakom) durchgeführt und ist Teil des Nationalen Aktionsplans zur Sicherheit von Medienschaffenden.
Pressefreiheit unter Druck
Weltweit steht die Pressefreiheit wegen Kriegen, Krisen und autoritären Staaten zunehmend unter Druck, sagt die Organisation Reporter ohne Grenzen. Valentin Rubin von RSF sagt: «Immerhin haben verbale und körperliche Angriffe auf Journalistinnen und Journalisten seit dem Ende der Coronapandemie wieder abgenommen.» Die Zustände in der Schweiz seien für Medienschaffende «vergleichsweise nicht schlecht, aber auch nicht so gut, wie sie sein könnten». Zudem bleiben viele Angriffe und Übergriffe auf Medienschaffende verborgen. «Nur 15 Prozent der Befragten gehen mit den Gefahren, die sie erleben, an die Öffentlichkeit», sagt Vinzenz Wyss von der ZHAW.
Legende:
Viele Journalistinnen und Journalisten sind es inzwischen gewohnt, bei Demonstrationen beschimpft und attackiert zu werden. Hass gegen Medienschaffende akzentuierte sich während der Corona-Pandemie auch in der Schweiz.
KEYSTONE / DPA / Boris Roessler
«Wir müssen gewarnt sein»
Der Gefährdungsmonitor zeige zwar, dass die Sicherheitssituation in der Schweiz im internationalen Vergleich für grosse Teile der Branche nicht alarmierend sei, sagt Forschungsleiter Vinzenz Wyss. Das bedeutet jedoch nicht, dass das so bleibt. «Langzeitvergleiche gibt es für die Schweiz nicht, aber ich gehe davon aus, dass die Bedrohungen zunehmen», sagt Vinzenz Wyss und ist überzeugt: «Wir müssen gewarnt sein.» Auch in der Schweiz.