Dominik Stillhart, der humanitäre Delegierte des Bundesrates, ist aus dem Sudan zurückgekehrt. Er berichtet von einer der schlimmsten humanitären Krisen der Welt und von Menschen, die alles verloren haben – auch ihre Würde.
SRF News: Welches Bild Ihrer Reise ist für Sie am prägendsten?
Dominik Stillhart: Das Gespräch mit einer Frau in einem Vertriebenenlager. Sie erzählte, wie sie während der Belagerung ihrer Stadt am Schluss die Häute von toten Tieren kochen und essen mussten. Sie sagte, sie habe damit ihre Würde verloren. Später musste sie vor einem Massaker fliehen, überall lagen Tote auf der Strasse. Trotz allem sagte sie am Schluss: ‹Ich bin so dankbar, dass ich jetzt in diesem Lager sicher bin.›
Im Sudan sind 30 Millionen Menschen vom Hunger bedroht. Was leistet die Schweiz konkret?
In erster Linie leisten wir Nothilfe: Nahrungsmittel, Medikamente, Trinkwasser und ein Dach über dem Kopf. Das machen wir über unsere Partner wie die UNO oder das IKRK.
Klar ist: Je länger der Krieg andauert, desto grösser wird der Druck für die Menschen, das Land zu verlassen.
Wir stellen aber auch kritische Infrastruktur wieder her, zum Beispiel eine Wasseraufbereitungsanlage in Khartum, die vor dem Krieg drei Millionen Menschen versorgt hat.
Immer mehr Geflüchtete aus dem Sudan kommen nach Europa. Entsteht eine neue Flüchtlingswelle?
Man sieht, dass mehr sudanesische Flüchtlinge über das Mittelmeer nach Europa gelangen. Die Zahlen bewegen sich aber im Bereich von einigen Tausend, nicht Hunderttausenden.
Klar ist aber: Je länger der Krieg andauert, desto grösser wird der Druck für die Menschen, das Land zu verlassen.
Der Bundesrat hat 50 Millionen Franken Nothilfe gesprochen. Wie schnell kommt das Geld an?
Ich bin extrem dankbar, dass die Finanzdelegation die ersten 25 Millionen sofort gesprochen hat. Das ist ein Zeichen, dass der Sudan der Schweiz nicht egal ist. Ein Teil des Geldes ist bereits ausgezahlt, am Montag werden die vollen 25 Millionen bei unseren Partnern im Sudan sein.
Meine grösste Hoffnung ist, dass die aktuellen diplomatischen Initiativen bald zu einem Waffenstillstand führen.
Gleichzeitig hoffe ich sehr, dass die eidgenössischen Räte in der Wintersession die zweiten 25 Millionen bewilligen, die der Bundesrat vorgeschlagen hat. Es braucht einfach noch mehr Geld.
Was passiert konkret mit diesem Geld?
Damit kann zum Beispiel das Welternährungsprogramm seine Nahrungsmittelverteilung aufrechterhalten, gerade jetzt in Darfur, wo die Krise so akut ist und Hunderttausende Menschen frisch geflüchtet sind und dringend versorgt werden müssen.
Die USA und drei arabische Staaten versuchen seit Monaten, ein Friedensabkommen für Sudan zu erreichen. Das ist bis jetzt nicht erfolgreich. Womit rechnen Sie den nächsten Monaten?
Meine grösste Hoffnung ist, dass die aktuellen diplomatischen Initiativen bald zu einem Waffenstillstand führen. Das ist zwar möglich, aber die Gespräche und Beobachtungen, die ich vor Ort gemacht habe, lassen mich leider zu einer anderen Einschätzung kommen: Es ist wahrscheinlicher, dass der Konflikt weitergeht.
Das Gespräch führte David Karasek.