Rund 600 Auto- und Motorradfahrende erhielten im Frühjahr 2021 Post von der Glarner Polizei. Sie waren bei der Fahrt über den Kerenzerberg GL geblitzt worden. Der Blitzer stand auf einer Tempo-80-Strecke, auf der wegen einer Baustellenzufahrt zwischenzeitlich Tempo 50 galt.
Markus Liver akzeptierte die Strafe nicht und zog vor Gericht. Die 50er-Tafel sei schlecht sichtbar und daher nicht gültig gewesen, so sein Argument. Vor Obergericht erhielt Markus Liver recht. Das Bundesgericht urteilte jedoch anders und schickte den Fall zurück an die Vorinstanz.
Nun befand das Glarner Obergericht ein zweites Mal über die Zulässigkeit der Geschwindigkeitsbusse. Und es sprach den Beschuldigten abermals frei. Dabei nahm der Fall eine ungeahnte Wendung, der kein gutes Licht auf die Arbeit der Glarner Kantonspolizei wirft. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.
Polizeibilder unter Manipulationsverdacht
Der Vorwurf: Der zuständige Polizist soll Bilder manipuliert haben. Es geht um Fotos, die den genauen Standort der Beschilderung rund um die Tempokontrolle zeigen sollen. Sie sind laut dem Bundesamt für Strassen Astra Pflicht. Genau für den Fall eines Strafverfahrens. Bloss: In den Glarner Akten befand sich zunächst offenbar kein einziges offizielles Polizeifoto, das aus dem Zeitraum der Kontrolle Anfang April stammte.
Nachträglich forderte die Untersuchungsbehörde daher bei der Kantonspolizei ein solches Bild ein. So ist es im Urteil nachzulesen. Das Gericht sagt nun: Das Bild könne unmöglich aus dem fraglichen Zeitraum von Ostern 2021 stammen.
Das Gericht verglich die Vegetation im Bildhintergrund. Auf der Polizeiversion würden die Bäume schon Laub tragen, auf einem privaten Bild von Anfang April, das die gleiche Stelle mit den Schildern zeige, seien die Bäume noch kahl.
Das Glarner Obergericht kommt deshalb zum Schluss: Die Situation wurde von der Polizei noch einmal nachgestellt und fotografiert, ohne dies offenzulegen.
Polizei klärt den Fall intern ab
Zuständig für die Geschwindigkeitskontrollen war in allen Fällen der gleiche Kantonspolizist. Dieser habe auch «krass unterschiedliche Angaben» zum Standort der Verkehrstafel gemacht. Im Urteil des Obergerichts ist von manipulativem Vorgehen die Rede.
Und weiter heisst es: «Bei einer derart windigen Arbeit eines Polizeibeamten (...) lässt sich schlicht nicht verbindlich feststellen, ob an Ostern 2021 oberhalb der Messstelle (...) überhaupt eine Tempobeschränkung auf 50km/h signalisiert war.» Deshalb müsse der Autofahrer freigesprochen werden.
Bei der Glarner Kantonspolizei heisst es, man nehme das Urteil des Obergerichts zur Kenntnis. Kommandant Richard Schmidt sagt: «Auch wenn das Urteil noch nicht rechtskräftig ist, wird der Fall intern aufgearbeitet. Wir wollen nachvollziehen, was genau ablief.»
Für den gebüssten Markus Liver ist der Fall klar. Was die Polizei hier gemacht habe, sei erschreckend, sagt er und fügt an: «Die Glarner Polizei hätte zu ihrem Fehler stehen müssen, statt den Fall bis vor Bundesgericht weiterzuziehen, was viele Jahre gedauert hat.»
Polizei will rechtskräftiges Urteil abwarten
Nebst jenem von Markus Liver sind noch vier weitere, gleichgelagerte Fälle beim Gericht pendent. Sollte das Urteil des Glarner Obergerichts rechtskräftig werden, dürften auch sie die Busse nicht bezahlen müssen. So wie möglicherweise weitere fast 600 Gebüsste.