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Justizforschung KI soll Richterinnen und Richtern helfen – sie nicht ersetzen

Mit KI könnten viele Aufgaben an Gerichten sowie bei Polizei und Staatsanwaltschaft beschleunigt werden. Trotzdem steckt ihr Einsatz in der Schweiz noch in den Kinderschuhen.

Viele Gerichte in der Schweiz sind überlastet, die Fälle stapeln sich. Da liegt der Gedanke nahe, künstliche Intelligenz einzusetzen, um die Urteilsfindung zu beschleunigen. In Brasilien beispielsweise haben viele Gerichte repetitive Aufgaben – wie das Sortieren von Dokumenten oder das Erfassen von Fällen – mit KI automatisiert, um die Effizienz zu steigern.

«KI beschäftigt die Schweizer Justiz – wie es uns alle notgedrungen beschäftigt», sagt Michele Luminati, Direktor des Obwaldner Instituts für Justizforschung, das letzte Woche eine Tagung organisiert hat, an der Chancen und Risiken der neuen Technologien aufgezeigt wurden.

Obwaldner Institut für Justizforschung

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Das Obwaldner Institut für Justizforschung wurde im Herbst 2022 in Sarnen gegründet. Während einer Pilotphase war es zunächst ein an der Universität Luzern akkreditiertes Institut mit externer Trägerschaft, das vom Kanton Obwalden mit jährlich 150’000 Franken unterstützt wurde. Per 1. Januar 2026 wird das Institut organisatorisch und örtlich vollumfänglich in die Rechtswissenschaftliche Fakultät der Universität Luzern integriert. Der Obwaldner Regierungsrat will das Institut weiterhin finanziell unterstützen. Das Obwaldner Institut für Justizforschung ist die erste universitäre Forschungseinrichtung der Schweiz, die sich umfassend mit der Justiz beschäftigt. Als nationales Kompetenzzentrum sollen Forschungslücken geschlossen und innovative Impulse für Recht, Politik und Gesellschaft gesetzt werden. Am 20. und 21. November 2025 fand eine Tagung statt zum Thema «Die Justiz im Fokus der empirischen Forschung: aktueller Stand und zukünftige Herausforderungen». Laut dem Direktor des Instituts, Michele Luminati, zielte die Tagung darauf, sich international über den Stand der Dinge und die Zukunftsperspektiven der empirischen Justizforschung auszutauschen. Denn: «Man kann nicht gute Gesetze machen, wenn man nicht weiss, wie sie funktionieren.»

Quelle: Universität Luzern

Österreich und Deutschland setzen KI ein

«KI ist in Österreich seit über zehn Jahren im Einsatz», sagt Martin Hackl, Chief Digital Officer beim österreichischen Bundesministerium für Justiz. «Sei es in der Analyse von Texten, in der Anonymisierung von Urteilen oder in der Rechtsrecherche.» In Österreich können Justizbeamte mit einer Entscheidsuchmaschine chatten und mit Prompts gezielt in Urteilen suchen. Fremdsprachige Dokumente in den Akten können sie sich automatisch übersetzen lassen.

In Deutschland kann man in gewissen Fällen digital Klage einreichen. «KI wird zur Bewältigung von sogenannten Massenverfahren eingesetzt», sagt Bettina Mielke, Professorin und Präsidentin des Landgerichts Ingolstadt. «Oder in Wirtschaftsstrafverfahren und im Baurecht, wo die Verfahren sehr umfangreich sind.» Dort sei es wichtig, die Akten besser zu strukturieren – und da würden KI-Verfahren eingesetzt.

In der Schweiz sind Justizbeamte zögerlich

Die Schweiz hinkt beim Einsatz von KI an Gerichten sowie bei Polizei und Staatsanwaltschaften hinterher. Gemäss einer empirischen Studie der Professorin Nadja Capus und Franziska Hohl Zürcher von der Universität Neuenburg – die an der Tagung vorgestellt wurde – nutzen 72 Prozent der befragten Staatsanwältinnen und Staatsanwälte keine KI-Tools. Zwar hielten viele es für nützlich, Audioaufnahmen der Einvernahmen automatisch transkribieren zu lassen – doch sie ärgern sich über die (noch) schlechten Ergebnisse.

Ein Roboter wendet sich einem Menschen zu
Legende: Gemäss Forschung empfinden Menschen ChatBots als empathischer als Richter aus Fleisch und Blut. Im Bild Roboter «Pepper» in Stuttgart. KEYSTONE/DPA/Sina Schuldt

Laut den Forschenden ist das bedauerlich, denn wenn eine Ermittlerin während der Einvernahme gleichzeitig protokollieren muss, mindert das nachweislich die Qualität der Befragung. Kommt KI zum Einsatz, muss man den Beschuldigten oder die Zeugin nicht wiederholt unterbrechen, weil man mit dem Protokollieren nicht nachkommt. Der Ermittler kann die Person frei und ununterbrochen sprechen lassen – was zu den wahrheitsgetreuesten und genauesten Ergebnissen führt.

Urteilt bald ein Roboter statt ein Richter?

Andere Länder experimentieren sogar mit sogenannten «Robo-Judges» – Estland bei kleineren Vertragsstreitigkeiten, die USA, wenn es darum geht, das Rückfallrisiko eines Täters oder einer Täterin zu ermitteln. Die Forschung zeigt dabei: Menschliche Richter werden zwar als fairer empfunden im Vergleich zu einem Chatbot – aber nicht als empathischer.

Dass in der Schweiz bald ein Roboter auf dem Gerichtsstuhl sitzt statt eines Menschen, ist dennoch unwahrscheinlich. Die Expertinnen und Experten an der Tagung sind sich einig, dass KI vorwiegend ein Hilfsmittel ist. «Es geht nicht darum, die menschliche Richterin durch KI zu ersetzen», resümiert Luminati vom Justizforschungsinstitut.

Echo der Zeit, 21.11.2025, 18.00 Uhr

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